Generalanwalt am EuGH: Kopie-Begriff nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO bezieht sich nicht per se auf Dokumente – wann sind Daten „verständlich“?

Heute hat Generalanwalt (GA) Pitruzella seine Schlussanträge in der Rechtssache C‑487/21 veröffentlicht. Die Ausführungen des GA sind sehr praxisrelevant, da es um den Inhalt und Umfang des Anspruchs auf eine Kopie personenbezogener Daten nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO geht.

Vielleicht direkt vorab: der GA vertritt eine eher einschränkende Auslegung des Kopie-Begriffs (allein auf die personenbezogenen Daten), eröffnet jedoch die Möglichkeit einer Herausgabe von (Teilen von) Dokumenten, in denen die personenbezogenen Daten enthalten sind.

Zudem bleibt der GA eher vage bei der entscheidenden Frage: was sind, gerade in Bezug auf Daten in Dokumenten, eigentlich die „personenbezogenen Daten“? Denn der GA ist deutlich: es ist eine Kopie der „personenbezogenen Daten“ herauszugeben. Wenn man nun ein 20 seitiges PDF-Dokument als Ganzes als personenbezogenes Datum ansehen würde, weil auf S. 3 und S. 16 der Name einer Person steht, müsste man das ganze Dokument als „personenbezogenes Datum“ herausgeben. Dieser Streit dürfte in der Praxis vorerst weiter bestehen.

Begutachtete Vorlagefragen

Im Hauptteil der Schlussanträge befasst sich der GA mit der Frage nach der genauen Bedeutung des Begriffs „Kopie“ in Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Zudem soll geklärt werden, welche Tragweite das der betroffenen Person durch diese Bestimmung verliehene Recht hat. Insbesondere, ob diese Bestimmung das Recht auf Erhalt einer Kopie auch der Dokumente – oder von Auszügen aus Datenbanken –, in denen die personenbezogenen Daten verarbeitet werden, verleiht oder ob sie sich darauf beschränkt, das bloße Recht auf Erhalt einer originalgetreuen Reproduktion der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zu gewähren.

Begründung des GA

Der GA nimmt eine aus meiner Sicht sehr schöne rechtliche Analyse des Art. 15 Abs. 3 DSGVO anhand von Wortlaut, Kontext und den Zielen, die mit der DSGVO verfolgt werden, vor.

Analyse des Wortlauts

Der GA betrachtet drei verschiedene Begriffe: den Begriff „Kopie“, den Begriff „personenbezogene Daten“ und den Begriff „Gegenstand der Verarbeitung“.

Die DSGVO sieht keine spezifische Definition des Begriffs „Kopie“ vor. Aus rein terminologischer Sicht bezeichne der Ausdruck „Kopie“ im gewöhnlichen Sprachgebrauch die originalgetreue Reproduktion oder Abschrift. Klar ist, dass die Kopie, die der für die Verarbeitung Verantwortliche der betroffenen Person zur Verfügung stellen muss, die Kopie der „personenbezogenen Daten“ ist, die Gegenstand der Verarbeitung sind.

Für den Begriff „personenbezogene Daten“ verweist der GA auf die Rechtsprechung des EuGH und dortige Beispiele. Die Tragweite des Begriffs „personenbezogene Daten“, ist sehr weit. Mit der Verwendung des Ausdrucks „alle Informationen“ im Zusammenhang mit der Bestimmung dieses Begriffs komme das Ziel des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, diesem Begriff eine weite Bedeutung beizumessen. Es genügt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist.

Nach Ansicht des GA bedeutet dies, dass dieser Begriff und damit das Recht auf Auskunft über diese Daten und auf Erhalt einer Kopie dieser Daten nicht ausschließlich auf Daten beschränkt ist, die von einem Verantwortlichen erhoben, aufbewahrt und verarbeitet werden, sondern auch die weiteren Daten zu umfassen hat, die von diesem Verantwortlichen nach der Verarbeitung möglicherweise erzeugt werden, wenn auch sie Gegenstand der Verarbeitung sind.

Wenn also nach der Verarbeitung einer Reihe personenbezogener Daten neue, aus dieser Verarbeitung resultierende Informationen über eine identifizierte oder identifizierbare Person erzeugt werden, die als personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO eingestuft werden können,

müsste das in Art. 15 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Satz 1 DSGVO vorgesehene Recht auf Auskunft zu den personenbezogenen Daten und auf Erhalt einer Kopie daher meines Erachtens auch diese erzeugten Daten umfassen, wenn diese Daten selbst Gegenstand der Verarbeitung sind.“

Was drittens den Begriff „Gegenstand der Verarbeitung“ betrifft, verweist der GA auf die Definition der „Verarbeitung“ in Art. 4 Nr. 2 DSGVO. Aus der weiten Bedeutung des Begriffs ergebe sich, dass Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO der betroffenen Person das Recht verleiht, eine Kopie ihrer personenbezogenen Daten zu erhalten, die Gegenstand eines Vorgangs sind, der als „Verarbeitung“ eingestuft werden kann.

Aber, und hier kommt zum ersten Mal die engere Auffassung zum Ausdruck: „verleiht diese Bestimmung als solche jedoch kein Recht, andere als die in Art. 15 Abs. 1 DSGVO genannten spezifischen Informationen über die Verarbeitung der personenbezogenen Daten selbst zu erhalten“.

Als Ergebnis der Wortlautauslegung stellt der GA fest, dass die „Kopie der personenbezogenen Daten“ eine getreue Wiedergabe dieser Daten sein muss. Dies bedeutet, dass je nach Art der verarbeiteten Daten und der Art der Verarbeitung eine Kopie dieser Daten verschiedene Formate wie Papierform, Audio- oder Videoaufzeichnungen, elektronisches Format oder andere Formate aufweisen kann.

Wichtig ist, dass die Kopie dieser Daten wortgetreu ist und es der betroffenen Person ermöglicht, volle Kenntnis von allen Daten zu erlangen, die Gegenstand der Verarbeitung sind. Eine etwaige Zusammenstellung der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, muss diese Daten originalgetreu und verständlich wiedergeben und im Übrigen den Inhalt der zu übermittelnden Daten nicht beeinflussen.“

Umfasst sind alle personenbezogenen Daten und damit nicht nur der erhobenen Daten, sondern auch vom Verantwortlichen erzeugte personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind.

Aber: Art. 15 Abs. 3 DSGVO bezieht sich ausschließlich auf Kopien der personenbezogenen Daten.

Daher, so der GA, „kann sie zum einen kein Recht auf Zugang zu Informationen begründen, die nicht als solche eingestuft werden können, und verleiht zum anderen nicht – zwangsläufig – ein Recht auf Erhalt von Kopien von Dokumenten oder anderen Trägern, die personenbezogene Daten enthalten“.

Diese Feststellung ist meines Erachtens relevant:

  • die Kopie kann sich nur auf personenbezogene Daten beziehen (Hinweis: hier kann man weiter streiten, wann diese vorliegen)
  • der GA scheint davon auszugehen, dass ein Dokument nicht als solches direkt zum personenbezogenen Datum wird, nur weil in dem Dokument ein solches Datum enthalten ist. Ansonsten würde der zweite Halbsatz der Begründung oben keinen Sinn machen („die personenbezogene Daten enthalten“).

Systematische und teleologische Analyse

Sodann geht der GA in die systematische und teleologische Analyse über.

Abs. 1 des Art. 15 DSGVO sehe vor, dass die betroffene Person das Recht hat, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob seine personenbezogenen Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf die in den Buchst. a bis h angeführten Informationen.

Diese Bestimmung konkretisiere somit das Recht auf Auskunft über personenbezogene Daten und damit zusammenhängende Informationen, indem sie den genauen Gegenstand und den Anwendungsbereich des Auskunftsrechts festlegt.

Art. 15 Abs. 3 DSGVO, so der GA, regele die Modalitäten der Ausübung dieses Rechts,

indem er u. a. die Form festlegt, in der der für die Verarbeitung Verantwortliche die personenbezogenen Daten der betroffenen Person zur Verfügung zu stellen hat, nämlich in Form einer Kopie und damit einer getreuen Wiedergabe der Daten.“

Für den GA ist klar, dass Abs. 3 kein eigenständiger Anspruch des Betroffenen ist. Art. 15 Abs. 3 DSGVO definiere nicht den Gegenstand und den Anwendungsbereich des durch Abs. 1 konkretisierten Rechts auf Auskunft. Daher könne Abs. 3 diesen Anspruch auch nicht ändern oder erweitern.

Art. 15 Abs. 3 DSGVO könne daher

kein eigenständiges Recht der betroffenen Person darauf begründen“, „Informationen zu erhalten, die über die in Abs. 1 der Bestimmung genannten hinausgehen“.

Der GA fasst dann in Rz. 52 seine vorläufigen Ergebnisse zusammen:

  • dass Art. 15 Abs. 3 S.1 DSGVO keinen eigenständigen Anspruch auf Erhalt von Kopien von Dokumenten oder anderen Trägern, die personenbezogene Daten enthalten, verleiht.
  • dass diese Bestimmung der betroffenen Person kein Recht verleiht, andere als die in Art. 15 Abs. 1 DSGVO genannten Informationen über die Verarbeitung personenbezogener Daten, wie z. B. Informationen zu den für die Verarbeitung personenbezogener Daten verwendeten Kriterien, Modellen, internen (berechnungs- oder sonstigen) Regeln oder Verfahren, zu erhalten.

Danach öffnet der GA in der weiteren Begründung jedoch doch die Tür einen Spalt weit dafür, über Abs. 3 eventuell Dokumente oder Teile von Dokumenten, in denen Daten enthalten sind, zu erhalten. Er stützt sich hierbei jedoch nicht allein auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO, sondern auf die Vorgaben zu den Betroffenenrechten in Art. 12 DSGVO.

Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO ist im Licht der anderen Bestimmungen der DSGVO auszulegen. Hier ist u. a. Art. 12 Abs. 1 DSGVO relevant. Danach muss der Verantwortliche geeignete Maßnahmen treffen, um der betroffenen Person alle u. a. in Art. 15 DSGVO genannten Informationen in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu übermitteln, und dass die Übermittlung der Informationen schriftlich oder in anderer Form, gegebenenfalls auch elektronisch erfolgt, es sei denn, die betroffene Person verlangt, dass diese mündlich erteilt werden.

Das Ziel: die betroffene Person soll in die Lage versetzt wird, die an sie gerichteten Informationen in vollem Umfang zu verstehen.

Und aus dem Erfordernis der Verständlichkeit der in Art. 15 Abs. 1 lit.. a bis h DSGVO angeführten Daten und Informationen folgert der GA,

dass nicht ausgeschlossen ist, dass es in bestimmten Fällen, um der betroffenen Person die gänzliche Verständlichkeit der an sie übermittelten Informationen zu gewährleisten, erforderlich ist, dieser Passagen von Dokumenten oder vollständige Dokumente oder Auszüge aus Datenbanken zu übermitteln.“

Das bedeutet: im Einzelfall muss der Verantwortliche eventuell dennoch Dokumente oder Teile von Dokumenten herausgeben, damit Betroffene die an sie übermittelten personenbezogenen Daten und deren Verwendung verstehen.

Es geht dem GA hier ersichtlich um den Kontext der Datenverarbeitung und wohl nicht um eine Festlegung, ob die Dokumente an sich personenbezogene Daten sind (dann müsste man sie ja ohnehin herausgeben).

Die Begründung und vorgeschlagene Vorgehensweise des GA, dürfte in der Praxis natürlich erneut zu Diskussionen und Unsicherheiten führen. Der GA verweist darauf, dass die Analyse der Notwendigkeit, Dokumente oder Auszüge zur Verfügung zu stellen, um die Verständlichkeit der übermittelten Informationen zu gewährleisten,

zwangsläufig von Fall zu Fall anhand der Art der Daten, die Gegenstand des Antrags sind, und des Antrags selbst vorgenommen werden“.

Zwar, so der GA, kann es in bestimmten Fällen für ein umfassendes Verständnis der in Rede stehenden personenbezogenen Daten erforderlich sein, den Kontext zu kennen, in dem diese Daten verarbeitet werden.

Diese Erwägung ist jedoch nicht geeignet, der betroffenen Person auf der Grundlage der in Rede stehenden Bestimmung ein allgemeines Recht auf Zugang zu Kopien von Dokumenten oder Auszügen aus Datenbanken zu verleihen“.

Systematisch führt der GA auch noch an, dass eine Auslegung von Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO dahin, dass diese Bestimmung kein allgemeines Recht auf Zugang zu Kopien von Dokumenten oder Auszügen aus Datenbanken gewährt, sofern dies nicht erforderlich ist, um die Verständlichkeit der übermittelten Daten und Informationen zu gewährleisten, auch dadurch bestätigt wird, dass das Recht auf Zugang zu Dokumenten, insbesondere zu Verwaltungsdokumenten, ausdrücklich durch andere Unionsrechtsakte oder nationale Rechtsakte geregelt wird, die andere Ziele haben als diejenigen, die den Schutz personenbezogener Daten sicherstellen.

Fazit

Als Ergebnis fasst der GA daher unter anderem zusammen:
diese Bestimmung der betroffenen Person kein allgemeines Recht verleiht auf teilweise oder vollständige Kopie des Dokuments, das die personenbezogenen Daten der betroffenen Person enthält, oder, wenn die personenbezogenen Daten in einer Datenbank verarbeitet werden, auf einen Auszug aus dieser Datenbank“.

Zum einen wird man nun sehen und warten müssen, ob und inwieweit sich der EuGH den Argumenten anschließt. Sollte die Begründung des GA so übernommen werden, dürften sich in der Praxis dennoch weiter Fragen stellen.

Insbesondere, wann ein Dokument oder zB eine Datenbank als Ganzes als personenbezogene Datum anzusehen ist. Ob es also eine Art „Infektion“ des Datums auf das ganze Dokument gibt.

Zum anderen wird in der Praxis die Frage aufkommen, wann den herauszugebende Daten eventuell nicht „verständlich“ sind und damit die Anforderungen nach Art. 12 Abs. 1 DSGVO noch nicht erfüllt sind.

Wer ist hier nachweispflichtig? Muss der Verantwortliche erahnen, dass Betroffene die Daten nicht verstehen? Sollte dies der Fall sein, bedeutet dies natürlich eine Unsicherheit für den Verantwortlichen und im schlimmsten Fall die Umkehrung der Ausnahme (Herausgabe ganzer Dokumente) zur Regel. Denn will der Verantwortliche auf Nummer sicher gehen, müsste er stets das ganze Dokument herausgeben.

Oder muss der Betroffene nachweisen, dass die Daten nicht „verständlich“ sind? Die mangelnde Fähigkeit des Verständnisses der Daten ist schließlich eine Eigenschaft, die allein in seiner Sphäre als Anspruchsteller liegt.

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