Vorbeugende Beschwerde bei der Datenschutzbehörde zulässig?

In seinen Schlussanträgen vom 25.9.2025 (Rs. C‑474/24) befasst sich Generalanwalt Spielmann u.a. auch mit der interessanten Frage, ob Betroffene nach Art. 77 eine Beschwerde bei einer Datenschutzbehörde gegen eine Verarbeitung einlegen können, die noch nicht stattfindet – also eine Art vorbeugende Beschwerde.

Wortlaut sieht diesen Fall nicht explizit vor

Nach Art. 77 DSGVO hat jede betroffene Person das Recht auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde hat, „wenn [sie] der Ansicht ist, dass die Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten gegen diese Verordnung verstößt“.

Der Wortlaut der Norm sieht zumindest nicht ausdrücklich den Fall vor, in dem die Verarbeitung noch nicht stattgefunden hat. Es wird der Ausdruck „verstößt“ im Präsens verwendet, was nach Ansicht des Generalanwalt zu bedeuten scheint, dass die Verarbeitung bereits stattgefunden haben muss. Jedoch schließt er die Möglichkeit, dass auch eine künftige Verarbeitung umfasst sein kann, als solche nicht aus).

Zweck der Beschwerde

Danach widmet sich der Generalanwalt im Rahmen der Auslegung dem Sinne und Zweck des Art. 77 DSGVO.

Eine Beschwerde durch Betroffene soll dazu führen, dass Datenschutzbehörden tätig werden, um ihre Aufgaben zu erfüllen und ihre Befugnisse wahrzunehmen.

Der Generalanwalt verweist auf Art. 58 Abs. 1 DSGVO, wonach jeder Aufsichtsbehörde weitreichende Untersuchungsbefugnisse zur Bearbeitung eingereichter Beschwerden zur Verfügung stehen. Zu den Befugnissen der Aufsichtsbehörde nach Art. 58 Abs. 2 a) DSGVO gehört es, einen Verantwortlichen zu „warnen“, dass „beabsichtigte“ Verarbeitungsvorgänge „voraussichtlich“ gegen die DSGVO verstoßen.

Dass die DSGVO hier vorsieht, dass eine Aufsichtsbehörde auch eine zukünftige Verarbeitung prüfen kann, sieht der Generalanwalt als Teil eines Ansatzes,

den man als „vorbeugenden Schutz“ der Rechte der betroffenen Person bezeichnen kann“.

Vorbeugende Pflichten der DSGVO

Zudem stellt der Generalanwalt heraus, dass der Verantwortliche, bestimmte Verpflichtungen erfüllen und insbesondere die betroffene Person vor der Verarbeitung informieren muss.

Aus diesen kontextbezogenen Gesichtspunkten leitet der Generalanwalt ab, ein vorsorglicher oder präventiver Ansatz der Aufsichtsbehörden bei der Bearbeitung von Beschwerden im Kontext der DSGVO nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.

Ziele der DSGVO

Zuletzt betrachtet der Generalanwalt bei seiner Auslegung des Art. 77 DSGVO auch die generellen Ziele der DSGVO. Aus ErwG 10 geht hervor, dass sie darauf abzielt, ein hohes Schutzniveau für natürliche Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in der Union zu gewährleisten.

Würde man die den Aufsichtsbehörden in Art. 57 Abs. 1 f) DSGVO auferlegte Verpflichtung, sich mit Beschwerden zu befassen, durch eine Auslegung von Art. 77 Abs. 1 DSGVO einschränken, nach der jede Möglichkeit ausgeschlossen wäre, eine Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde „im Vorfeld einer Verarbeitung“ einzureichen, könnte dies den Zielen dieser Verordnung zuwiderlaufen.

Zulässigkeit der vorbeugenden Beschwerde – aber …

Insgesamt geht der Generalanwalt daher davon aus, dass eine gemäß Art. 77 DSGVO eingelegte Beschwerde zulässig sein kann, obwohl die Verarbeitung personenbezogener Daten der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Einreichung ihrer Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde noch nicht stattgefunden hat.

Rein praktisch stellt sich dann natürlich die Frage, „wie früh“ die Beschwerde eingelegt werden kann? Wie konkret muss also die geplante Verarbeitung feststehen?

Einschränkend zur generellen Zulässigkeit der vorbeugenden Beschwerde geht der Generalanwalt davon aus, dass der geltend gemachte Verstoß gegen die DSGVO dafür geeignet sein muss und dass die betreffende Verarbeitung

nicht rein hypothetischer Natur sein darf“.

So wäre seiner Ansicht nach etwa eine Beschwerde, die sich auf die in Art. 12 DSGVO vorgesehene Informationspflicht oder auf das in Art. 15 DSGVO vorgesehene Auskunftsrecht bezieht, beispielsweise vor Beginn einer Datenverarbeitung zulässig.

Der Generalanwalt fügt danach ein Beispiel an, wann eine vorbeugende Beschwerde jedoch unzulässig ist. Hierbei stellt er auf den konkret geltend gemachten Verstoß und auch die Möglichkeit des Verantwortlichen ab, diesen Verstoß zu beseitigen.

Im vorliegenden Fall legte die Betroffene eine Beschwerde zur Löschung von Daten nach Art. 17 DSGVO sein, wobei die Daten noch nicht veröffentlicht waren. Die Betroffene hat angegeben, dass die Veröffentlichung ihrer Daten „mit ziemlicher Sicherheit unmittelbar bevorstehe“.

Konkret zu dieser Beschwerde geht der Generalanwalt davon aus, dass die auf das Recht auf Löschung gemäß Art. 17 DSGVO gestützte Beschwerde unzulässig war, weil sie eine Verarbeitung (hier die Veröffentlichung der personenbezogenen Daten der betroffenen Person) betrifft, die, auch wenn sie unmittelbar bevorsteht, weder zum Zeitpunkt der Einreichung der Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde noch zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung dieser Aufsichtsbehörde vorlag.

Eine auf Löschung der Daten gerichtete Beschwerde setze naturgemäß voraus, dass die betreffende Verarbeitung, in diesem Fall die Veröffentlichung der Daten, tatsächlich stattgefunden hat. Dem Verantwortlichen dürfte es nämlich unmöglich sein, aufgrund einer solchen Beschwerde tätig zu werden und Daten zu löschen, wenn diese noch nicht veröffentlicht wurden.