Land Berlin mit neuer, europarechtswidrigen Schuldatenverordnung (SchuldatenV)

Seit dem 19. August 2023 gilt in Berlin eine neue „Verordnung über die Verarbeitung personenbezogener Daten im Schulwesen (Schuldatenverordnung – SchuldatenV)“ (hier abrufbar).

Die Verordnung gilt für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Schülerinnen und Schülern, ihren Erziehungsberechtigten, Lehrkräften und sonstigen schulischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, soweit nicht die Datenverarbeitung im Rahmen der Nutzung von digitalen Lehr- und Lernmitteln und sonstigen digitalen Instrumenten, die vorwiegend pädagogischen Zwecken dienen, betroffen ist. Für diese Fälle (vorwiegend pädagogische Zwecke) gilt die Digitale Lehr- und Lernmittel-Verordnung (DigLLV).

Nachfolgend möchte ich beispielhaft zwei (aus meiner Perspektive klar) europarechtswidrige Regelungen der SchuldatenV herausstellen. Diese stellen gute Beispiele dafür dar, warum der Datenschutz bzw. die DSGVO in der Praxis als „Verhinderer“ gesehen wird, obwohl dies eigentlich nicht der Fall sein muss. Wenn der nationale Landes- oder Bundesgesetzgeber aber Regelungen schafft, die den Anwendern zum Teil eu-rechtliche vorgesehene Möglichkeiten zum Einsatz von Technologien abschneiden und dies erschweren.

Unzulässige Wiederholung der DSGVO

§ 6 Abs. 5 Nr. 1 S. 1 gibt vor: „Erfolgt die Verarbeitung durch einen Auftragsverarbeiter, ist dieser sorgfältig gemäß Artikel 28 Absatz 1 der Datenschutz-Grundverordnung auszuwählen.“

Und jetzt legen wir einmal die europarechtliche, unmittelbar bindende Vorgabe des Art 28 Abs. 1 DSGVO daneben: „Erfolgt eine Verarbeitung im Auftrag eines Verantwortlichen, so arbeitet dieser nur mit Auftragsverarbeitern, die hinreichend Garantien dafür bieten, dass geeignete technische und organisatorische Maßnahmen so durchgeführt werden, dass die Verarbeitung im Einklang mit den Anforderungen dieser Verordnung erfolgt und den Schutz der Rechte der betroffenen Person gewährleistet.“

Klar, das ist keine eins zu eins Wiederholung. Muss es aber auch nicht sein, um dennoch gegen die Vorgaben des EuGH zu verstoßen. Dieser geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Mitgliedstaaten keine Maßnahmen ergreifen dürfen, die geeignet sind, die Zuständigkeit des Gerichtshofes zur Entscheidung über Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder der Gültigkeit der von den Organen der Gemeinschaft vorgenommenen Handlungen zu beschneiden. „Infolgedessen sind Praktiken unzulässig, durch die die Normadressaten über den Gemeinschaftscharakter einer Rechtsnorm im unklaren gelassen werden“ (Rechtssache C-34/73, Rz. 11).

Aus meiner Sicht hat § 6 Abs. 5 Nr. 1 S. 1 überhaupt keinen eigenen Regelungsgehalt. Im Grunde verweist er nur auf eine Pflicht nach der DSGVO, die aber ohnehin unmittelbar zu beachten ist. Was ist also der Sinn der Vorgabe in § 6 Abs. 5 Nr. 1 S. 1? Für mich hat die Regelung keinen materiellen Sonn und Zweck. Vielmehr macht es den Eindruck, dass der Landesgesetzgeber hier eigene Vorgaben macht und die betroffenen Stellen dann zusätzlich bindendes EU-Recht beachten sollen. Das wäre aus meiner Sicht dann aber genau der vom EuGH adressierten unzulässigen Praktik.

Wenn man argumentiert, dass die Regelung keine reine Wiederholung sei, sondern eigenen Regelungsinhalt habe (welchen?), dann greift aber das nächste Argument einer EU-Rechtswidrigkeit.

Denn dem Berliner Gesetzgeber fehlt die Kompetenz, Vorgaben zu Art. 28 Abs. 1 DSGVO aufzustellen. Die DSGVO enthält in Art. 28 Abs. 1 DSGVO keine Öffnungsklausel für Mitgliedstaaten, zur Ausgestaltung der Auswahl von Auftragsverarbeitern.

Auch Art. 23 DSGVO, der grundsätzlich Einschränkungen ermöglichen würde, greift für Art. 28 DSGVO nicht.

Selbst, wenn man (irgendwie) eine Öffnungsklausel herbeiargumentieren möchte, läge hier ein Verstoß vor. Der EuGH hat im März diesen Jahres, zu der ausdrücklich vorgesehenen Öffnungsklausel in Art. 88 Abs. 1 DSGVO entschieden, dass es sich bei einer nationalen Regelung als „spezifischere Vorschrift“ nicht lediglich um eine Wiederholung der DSGVO-Vorgaben handeln darf (Rechtssache C‑34/21, Rz. 71). Wenn diese Vorgaben schon bei ausdrücklich normierten Öffnungsklauseln für spezifischere nationale Regelungen gelten, dann erst recht im hiesigen Fall – in dem eine solche Möglichkeit fehlt.

Datenlokalisierungspflicht

§ 6 Abs. 5 Nr. 1 S. 2 verlangt: „Die Auftragsverarbeitung erfolgt ausschließlich und vollständig in dem Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraumes.“

Die SchuldatenV verpflichtet betroffene Stellen mithin dazu, personenbezogene Daten nur in der EU/EWR zu verarbeiten. Rein faktisch wird dies bedeuten, dass Dienstleister, etwa von Softwareprodukten, die ihre Dienste aus Drittländern anbieten oder etwa für Service- oder Supportzwecke auf Daten in der EU/EWR zugreifen müssten, nicht in Anspruch genommen werden können.

Eine solche Datenlokalisierungspflicht sieht die DSGVO aber gerade nicht vor. Ansonsten bräuchte es das gesamte Kapitel V der DSGVO nicht, in dem es nur um Datentransfers in Drittländer geht.

Die DSGVO sieht zudem keine spezielle Öffnungsklausel für die Schaffung einer solchen Lokalisierungsvorgabe vor.

In der Begründung zur SchuldatenV wird auch mit keinem Wort auf die Nutzung einer Öffnungsklausel oder zumindest der Regelung des Art. 23 DSGVO, über den gewisse Rechte und Pflichten der DSGVO eingeschränkt werden können, eingegangen (wobei Art. 23 DSGVO eine Beschränkung der Rechte in Kapitel V DSGVO nicht zulassen würde). Ein Transfer personenbezogener Daten in Drittländer im Rahmen der Auftragsverarbeitung wird schlicht untersagt – entgegen den Vorgaben der DSGVO. Und übrigens: auch ohne jegliche Information zu den Motiven in der Begründung zu § 6 SchuldatenV.

Besonders skurril finde ich an der Regelung, dass die Lokalisierungspflicht dem Wortlaut nach nur für die Auftragsverarbeitung gilt. Das bedeutet, dass Schulen personenbezogene Daten sehrwohl nach den Vorgaben der DSGVO in Drittländer übermitteln könnten. Also an einen anderen Verantwortlichen. Tut mir leid, aber dass kann doch nicht der Zweck einer solchen Regelung sein?! Wenn man, was ich vermute, schulische Daten (gerade jene von Kindern) besonders schützen möchte, dann ist es doch ein völliger Fehlgriff, dies nicht umfassend zu tun. Sondern nur für Situationen der Auftragsverarbeitung.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof: Kein Löschanspruch für alle Daten aus Personalakte – auch nicht nach Ende des Beamtenverhältnisses

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat Beschluss vom 29.06.2023 (Az. 6 ZB 23.530) einige interessante Aussagen zu den Datenschutzgrundätzen der Datenminimierung, Speicherbegrenzung und Richtigkeit nach Art. 5 Abs. 1 DSGVO getroffen. 

Sachverhalt

In dem Verfahren vor dem VGH verfolgte der Kläger seine Klage gerichtet auf Löschung von Dokumenten aus seiner Personalakte weiter, die vor dem Verwaltungsgericht erfolglos geblieben ist. Er begehrte u.a. die Löschung von Unterlagen überwiegend zu Vorgängen aus den Jahren 2004 bis 2006 sowie 2010 bis 2014, die im Rahmen der Beurteilung der Verwendungsfähigkeit des Klägers im Polizeidienst und seiner allgemeinen Dienstfähigkeit entstanden sind, sowie Unterlagen zur Verlängerung der Probezeit.

Der Kläger meint, sämtliche Einträge in der Personalakte, die vor dem 16. Juni 2006 datieren, seien zu löschen, weil das damalige Beamtenverhältnis zu diesem Zeitpunkt endete und nicht mehr in sachlichem Zusammenhang zu dem nunmehrigen Beamtenverhältnis stehe. 

Entscheidung des VGH

Nach Ansicht des VGH besteht kein Löschanspruch aus der DSGVO. 

Datenminimierung

Zum Grundsatz nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) DSGVO stellt der VGH fest, dass die während des Bestehens eines Beamtenverhältnisses in der Personalakte gesammelten Daten grundsätzlich auch dann angemessen, erheblich und auf das notwendige Maß beschränkt bleiben, 

„wenn der betroffene Beamte aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet.“ 

Das Gericht also davon aus, dass Daten aus der Personalakte nicht zwingend sofort zu löschen sind, nur weil ein Anstellungsverhältnis (hier: Beamtenverhältnis) endet. Die Unterlagen über krankheitsbedingte Dienstunfähigkeiten dienten hier nicht nur der Feststellung von aktuellen Fehlzeiten, sondern bleiben auch gegebenenfalls für mögliche Reaktivierungs- oder auch Wiedereinstellungsprüfungen von Bedeutung. Gerade diesbezüglich könne es aber es auf den jeweiligen historischen Kontext ankommen. 

Zudem stellt der VGH fest: 

„Eine Löschung könnte vielmehr umgekehrt gegen den Grundsatz der Datenrichtigkeit verstoßen.“

Datenrichtigkeit

Der Grundsatz nach Art. 5 Abs. 1 lit. d) DSGVO, wonach personenbezogene Daten sachlich richtig und „erforderlichenfalls auf dem neuesten Stand“ sein müssen, könne den Löschungsanspruch ebenfalls begründen. 

Denn, so der VGH, die Daten sind durch das Ausscheiden des Klägers aus dem Dienst ja nicht etwa unrichtig geworden.

„sie bleiben vielmehr mit Blick auf die damalige Rechtswirklichkeit weiterhin richtig.“

Bedeutet: keine Löschung oder Änderungen der faktisch richtigen Vergangenheit durch die DSGVO. Daher bestehe auch kein Berichtigungsanspruch aus Art. 16 DSGVO. Der VGH begründet seine Ansicht damit, dass nur wenn die Personalakten auf dem Stand gehalten werden, der zum jeweiligen Zeitpunkt richtig war, ein möglichst lückenloses Bild der Entstehung und Entwicklung des Dienstverhältnisses als historischem Geschehensablauf dokumentiert werden könne. 

Speicherbegrenzung

Zuletzt folgert der VGH aus seinen Ausführungen, dass damit auch der Grundsatz nach Art. 5 Abs. 1 lit. e) DSGVO der weiteren Speicherung der bis zum Ausscheiden des Klägers aus dem Beamtenverhältnis im Jahr 2006 in seiner Personalakte gesammelten Daten nicht entgegenstehe.

Sensible Daten überall? – Versuch einer (irgendwie handhabbaren) Interpretation des EuGH-Urteils

Mit seinem gestrigen Urteil in der Rs. C-184/20 (Urt. v. 1.8.2022) hat er EuGH für einige Diskussionen und sicher auch hochgezogene Augenbrauen im #TeamDatenschutz gesorgt. Wobei man, wenn man ehrlich ist und die EuGH-Rechtsprechung zum Datenschutz verfolgt, nicht mehr allzu sehr überrascht von Entscheidungen sein sollte, in denen das Gericht den Anwendungsbereich der DSGVO weit auslegt und per se betroffenenfreundlich urteilt.

Was hat der EuGH entschieden?

Auf die Hintergründe des Urteils möchte ich hier nicht eingehen. Für diesen Blogbeitrag reicht es aus zu wissen, dass es in Litauen aus Gründen der Transparenz und Korruptionsbekämpfung eine gesetzliche Pflicht für gewisse Personen gibt, bestimmte Daten an eine Behörde zu geben und diese Behörde den Großteil dieser Daten dann auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Zu den Daten gehören auch namensbezogenen Daten über den Ehegatten, Partner oder Lebensgefährten der erklärungspflichtigen Person oder über ihr nahestehende oder bekannte Personen, die einen Interessenkonflikt begründen können, sowie die Angabe des Gegenstands der Transaktionen mit einem Wert von mehr als 3 000 Euro.

Der EuGH geht am Ende ausdrücklich von einer „weiten Auslegung“ (Rz. 125) Begriffe „besondere Kategorien personenbezogener Daten“ und „sensible Daten“ (Art. 9 Abs. 1 DSGVO) aus.

Eine Verarbeitung von Daten, „die geeignet sind, die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person indirekt zu offenbaren“, stelle eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne dieser Bestimmungen dar (Rz. 128).

Der EuGH lässt es für die Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 DSGVO mithin genügen, dass aus Daten indirekt auf besondere Kategorien personenbezogener Daten geschlossen werden kann. Bsp: gibt ein Mann an, dass er mit einem Mann verheiratet ist, offenbart dies nach Ansicht des EuGH wohl seine sexuelle Orientierung. Art. 9 Abs. 1 DSGVO ist anwendbar, auch wenn die Daten dies selbst inhaltlich nicht (direkt) offenbaren.

Begründung des EuGH

Die Begründung für dieses Ergebnis, wenn man die generelle Linie des EuGH bei Datenschutz-Themen betrachtet, wenig überraschend. Im Kern nennt der EuGH zwei Argumente.

Erstens, eine kontextbezogene Analyse. Eine enge Auslegung des Begriffs der besonderen Kategorien personenbezogener Daten liefe insbesondere Art. 4 Nr. 15 der DSGVO zuwider, wonach „Gesundheitsdaten“ personenbezogene Daten sind, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person, einschließlich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand „hervorgehen“, und stünde auch im Widerspruch zu ErwG 35 DSGVO.

Zweitens, eine zweckbezogene Auslegung der Norm innerhalb der DSGVO. Für eine weite Auslegung spreche das Ziel der DSGVO, das darin besteht, ein hohes Niveau des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen – insbesondere ihres Privatlebens – bei der Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten zu gewährleisten.

Mögliche Folgen des Urteils

Überträgt man die Begründung des EuGH in die Praxis, bedeutet dies im worst case, dass bei sehr vielen Verarbeitungen die zusätzlichen und strengen Ausnahmen aus Art. 9 Abs. 2 DSGVO beachtet werden müssen. Dort findet sich insbesondere kein Erlaubnistatbestand der Vertragserfüllung wie in Art. 6 Abs. 1 lit. b oder der Interessenabwägung wie in Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO. Ergebnis: kauft jemand online Schmerztabletten, ergibt sich hieraus indirekt der Gesundheitszustand. Art. 9 DSGVO ist anwendbar und im Zweifel muss für die Zulässigkeit der Verarbeitung eine Einwilligung eingeholt werden – die Rechtsgrundlage der Vertragsdurchführung würde nicht ausreichen.  

Ansatz einer eigenen Interpretation

Das oben beispielhaft dargestellte Ergebnis erscheint schon für sich sehr extrem. Noch diskussionswürdiger wird es, wenn man bedenkt, dass die Person, die Schmerztabletten kauft, ja gar nicht gerade akut Schmerzen haben muss oder diese Tabletten für ein Familienmitglied einkauft. Dann wäre selbst der indirekte Bezug zum Gesundheitszustand eigentlich nicht gegeben, weil der Käufer aktuell eben nicht Schmerzen hat oder Daten der anderen Person gar nicht verarbeitet werden.

Ich kann mir, nach erster Sichtung der Begründung, in der Zukunft daher eventuell die folgende Anwendung und Interpretation von Art. 9 Abs. 1 DSGVO vorstellen. Einerseits, um dem Willen des EuGH (weite Auslegung) zu genügen. Andererseits, um nicht jeglichen (möglichen!) Bezug zu Art. 9-Daten ausreichen zu lassen.

1.

Der EuGH geht klar davon aus, dass es in dem entschiedenen Fall tatsächlich möglich war, „aus den namensbezogenen Daten über den Ehegatten, Lebensgefährten oder Partner der erklärungspflichtigen Person bestimmte Informationen über das Sexualleben oder die sexuelle Orientierung dieser Person und ihres Ehegatten, Lebensgefährten oder Partners abzuleiten“ (Rz. 119).

Dies ist mE ein wichtiger Aspekt. Der EuGH begründet seine Ansicht also stets vor der Tatsache, dass die Ableitung auf wirklich existierende besondere Kategorien personenbezogener Daten zumindest möglich war.

2.

Der EuGH fußt seine Begründung zudem ausdrücklich auf der Annahme, dass Daten betroffen sind, „aus denen mittels gedanklicher Kombination oder Ableitung auf die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person geschlossen werden kann“ (Rz. 120).

Dieser Schluss auf besondere Kategorien personenbezogener Daten muss (theoretisch) wirklich möglich sein. Art. 9 Abs. 1 DSGVO muss daher nach Ansicht des EuGH zwar weit ausgelegt werden. Jedoch wiederholt der EuGH mehrmals in seiner Begründung den Aspekt, dass es um Daten geht, „aus denen sich mittels eines Denkvorgangs der Ableitung oder des Abgleichs indirekt sensible Informationen ergeben“ (Rz. 123).

3.

Art. 9 Abs. 1 DSGVO ist daher meines Erachtens zumindest dann (auch im Einklang mit dem EuGH) nicht anwendbar, wenn die indirekte Offenbarung bzw. der indirekte Schluss auf besondere Kategorien personenbezogener Daten faktisch nicht möglich ist, weil es diese sensiblen Daten gar nicht gibt. Dann kann sich, im Duktus des EuGH, mittels Ableitung oder Abgleich diese indirekte Information rein faktisch nicht ergeben. Eine falsche Ableitung (Person kauft Schmerztabletten, ist faktisch nicht krank, der Verantwortliche geht aber davon aus) darf hier meines Erachtens keine Beachtung finden, da nach dem Grundsatz aus Art. 5 Abs. 1 lit. d (Richtigkeit) per se nur richtige Daten verarbeitet werden dürfen.

Das würde wohl nicht in jedem Fall in der Praxis helfen, Art. 9 Abs. 1 DSGVO auszuschließen. Jedoch dürfte man in einigen, extrem praxisrelevanten Fällen dennoch allein Art. 6 Abs. 1 DSGVO zur Anwendung bringen können.  

Bezogen auf mein Beispiel der Schmerztabletten oben: da die Person, die den Kauf tätigt, nicht selbst krank ist, liegen keine Art. 9-Daten vor. Die Ableitung aus dem Kauf darauf, dass die Person selbst Schmerzen hat (= Gesundheitszustand) wäre falsch bzw. würde ins Leere gehen.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob diese Idee und meine Gedanken dazu die beste Lösung darstellen. Zumindest könnte man hierüber in gewissen Konstellationen zu einem (irgendwie noch handhabbaren) Ergebnis für die Praxis gelangen, nicht in jedem Fall eine zusätzliche Einwilligung nach Art. 9 Abs. 1 lit. a DSGVO einholen zu müssen.

Verwaltungsgericht Bremen: Keine Auskunft über Betroffenenrechte, wenn der Betroffene diese kennt und selbst erwähnt?

Das Verwaltungsgericht (VG) Bremen hat sich in einem Urteil vom 22.06.2022 (Az. 4 K 1/21; derzeit leider bei BeckOnline kostenpflichtig abrufbar, BeckRS 2022, 16412) mit Fragen rund um das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO befasst. Das VG lehnt zum Teil eine Pflicht des Verantwortlichen ab, Informationen nach Art. 15 Abs. 1 lit. a) – h) DSGVO zu erteilen. Der Fall selbst erscheint mir einigermaßen „speziell“.

Sachverhalt

Die Kläger machen gegenüber der Beklagten (einer öffentlichen Stelle) Auskunftsansprüche nach der DSGVO geltend. Mit Schreiben vom 16.06.2020, adressiert an die Beklagte – Amt für Kinder, Jugend und Familie -, beantragte die Klägerin zu 1. für sich und die Kläger zu 2. und 3. bei der Beklagten unter Hinweis auf Art. 15 Abs. 1 lit. a) bis h) DSGVO die Erteilung von Auskünften über die über sie selbst und ihre beiden Söhne erhobenen und verarbeiteten personenbezogenen Daten.

Die Beklagte teilte ihr daraufhin mit, dass es keine zentrale Stelle gäbe, die sämtliche personenbezogenen Daten von Betroffenen erfassen und zusammenführen würde, weswegen sie sich hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs an die jeweilige Stelle in Bremerhaven wenden müsste. Am 03.01.2021 wurde Klage und zugleich ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eingereicht und zur Begründung vorgetragen, die Beklagte habe nicht auf ihr Auskunftsbegehren vom 16.06.2020 reagiert. Auch die nachträglich vorgelegten Unterlagen seien unvollständig.

Mit Schreiben vom 03.03.2022 hat die Beklagte der Klägerin zu 1. u.a. eine ExcelTabelle zu den verarbeiteten personenbezogenen Daten übermittelt. Mit Schreiben vom 11.05.2022 hat die Beklagte u.a. auch noch einen Auszug aus der LogoData-Software zu den verarbeiteten personenbezogenen Daten übermittelt. Die Schreiben bzw. Tabellen und Übersichten enthielten jedoch keine Hinweise auf Betroffenenrechte oder Beschwerderechte. Ferner enthielten sie auch keine Informationen über das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling.

Die Kläger gingen weiter davon aus, dass ihr Anspruch aus Art. 15 DSGVO nicht erfüllt sei.

Entscheidung

Das VG ging zunächst davon aus, dass der Anspruch nach Art. 15 DSGVO mit der Übersendung der Excel-Tabellen und eines Auszugs aus der verwendeten Software zum Teil erfüllt war.

Erfüllung mit Screenshots und Kopien aus Systemen

Die Aussagen zu der übersendeten Excel-Tabelle (ich vermute, als Screenshot / Ausdruck und Kopie) sind durchaus interessant. Die Excel-Tabelle war so aufgebaut, dass dort sämtliche bei der Beklagten vorhandene personenbezogene Daten i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. a) bis d) und g) DSGVO zu den Klägern eingetragen werden konnten, was auch geschehen ist.

Aus den LogoData-Softwareauszügen, welche per Schreiben (also wohl auch eine Kopie eines Screenshots bzw. ein Ausdruck) übermittelt wurden, wurde ersichtlich, dass, und darüber hinaus auch konkret welche Daten nach Art. 15 Abs. 1 lit. a) bis d) und g) DSGVO beim Sozialen Dienst der Beklagten zum Zwecke der Bearbeitung des Unterhaltsvorschusses und der wirtschaftlichen Jugendhilfe verarbeitet wurden.

Keine Auskunft über bekannte Betroffenenrechte?

Sehr interessant finde ich die Begründung des VG zu der Frage, ob die beklagte Behörde nicht auch die Informationen nach Art. 15 Abs. 1 lit. e) und h) DSGVO erteilen musste. Es war klar, dass sämtliche der Klägerin übermittelten Unterlagen keine Informationen zu den nach Art. 15 Abs. 1 lit. e) und h) DSGVO zu übermittelnden Angaben enthielten.

Das VG fand hier aber einen Begründungsansatz, warum diese Informationen nicht erforderlich waren.

Für den Hinweis auf das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung der die Kläger betreffenden personenbezogenen Daten oder auf Einschränkung der Verarbeitung durch den Verantwortlichen oder eines Widerspruchsrechts gegen diese Verarbeitung (Art. 15 Abs. 1 lit. e) DSGVO) bestand nach Auffassung des VG kein Bedürfnis,

nachdem die Kläger bereits in den Schriftsatz vom 04.01.2021, mit dem sie die Klage eingereicht hatten, Art. 15 Abs. 1 DSGVO vollständig zitiert hatten. Die Kläger können sich im vorliegenden Fall gerade nicht darauf berufen, sie hätten keine Kenntnis von ihren Betroffenenrechten gehabt und die Beklagte müsste nun dazu verpflichtet werden, sie hierauf hinzuweisen.“

(gemeint ist wohl die Klage vom 03.01). Das VG argumentiert hier nicht europarechtlich aus der DSGVO heraus, sondern basierend auf dem deutschen Verwaltungsprozessrecht. Diesen Ansatz finde ich durchaus nachvollziehbar.

Denn auf diese Weise könnten die Kläger keine Verbesserung ihrer Rechtsposition erreichen. Eine Klage, bei der nicht einmal die Möglichkeit einer Verbesserung der eigenen Rechtsposition besteht, ist als rechtsmissbräuchlich zu bewerten und daher unzulässig“.

Es dürfte sich aber eine Gegenposition ebenso vertreten lassen. Im Grunde geht die DSGVO als unmittelbar anwendbares Recht dem nationalen Recht vor. Art. 15 Abs. 1 DSGVO sieht keine Ausnahme der Auskunftspflichten vor, wenn die betroffene Person diese Rechte bereits kennt bzw. selbst zitiert. Am Ende wird man diskutieren müssen, ob das deutsche Prozessrecht von der DSGVO unbeeinflusst gilt und auch Auswirkungen auf materiell-rechtliche Anforderungen der DSGVO haben kann.   

Keine Auskunft, wenn nicht relevant?

Auch die Informationserteilung nach Art. 15 Abs. 1 lit. h) DSGVO lehnt das VG ab.

Diesbezüglich jedoch mit einer anderen Begründung. Für diese Information bestand nach Auffassung des Gerichts kein Bedürfnis,

weil im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die personenbezogenen Daten der Kläger zum Zwecke der automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling verarbeitet worden sein könnten.“

Findet eine automatisierten Entscheidungsfindung nicht statt, muss also nach Ansicht des VG darüber auch nicht negativ informiert werden. Diese Begründung halte ich durchaus für gangbar, zumal lit. h) ausdrücklich vorsieht, dass der Verantwortliche über „das Bestehen“ einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling informieren soll. Findet dies aber nicht statt, dann liegt auch kein „Bestehen“ vor.

Europäischer Datenschutzbeauftragter: Internationaler Datentransfer auf Basis eines im Interesse der betroffenen Person geschlossenen Vertrags

In seinem neuesten Newsletter berichtet der EDPS über die Beratungsanfrage einer Bibliothek. Es ging dort unter anderem auch um die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage die Daten von Abonnenten an Verlage in Drittländern außerhalb der EU übermittelt werden dürfen. Die Verlage hatten, für den Zugang zu ihren Werken, Verträge mit der Bibliothek abgeschlossen.

Bislang verlangte die Bibliothek für die Datenübermittlung an die Verlage in Drittländern eine Einwilligung der Betroffenen. Der EDPS vertrat jedoch eine andere Auffassung. Nach seiner Ansicht kann sich die Bibliothek, als Verantwortlicher, in diesem Fall auf die Ausnahmeregelung des Art. 50 Abs. 1 lit. c der Verordnung 2018/1725 berufen. Die Begründung des EDPS:

„…weil die Übermittlung von Abonnentendaten an Verlage außerhalb des EWR für den Zugang zu Veröffentlichungen mit Sitz außerhalb der EU/des EWR erforderlich ist.“

Zwar gilt die Verordnung 2018/1725 nur für die öffentliche Stellen der EU. Die entscheidende Vorschrift findet sich aber ebenso auch in der DSGVO, in Art. 49 Abs. 1 lit. c DSGVO: „die Übermittlung ist zum Abschluss oder zur Erfüllung eines im Interesse der betroffenen Person von dem Verantwortlichen mit einer anderen natürlichen oder juristischen Person geschlossenen Vertrags erforderlich“.

Die Aufsichtsbehörde geht also davon aus, dass in diesem Fall die Datenübermittlung auf den Vertrag zwischen der Bibliothek und dem Verlag im Drittland gestützt werden darf. Dieser Fall ist eines der sehr seltenen Beispiele, wann eine Aufsichtsbehörde tatsächlich einmal diese Ausnahmevorschrift für anwendbar hält. Die Erwägungen der Behörde lassen sich sicher auch auf den Anwendungsbereich der DSGVO, also insbesondere privatwirtschaftliche Bibliotheken und Verlage übertragen.

Verwaltungsgericht: Keine Ermächtigung für Datenschutzbehörde zur zwangsweisen (Ab-)Berufung eines Datenschutzbeauftragten?

Das Verwaltungsgericht Köln hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine interessante Entscheidung getroffen (Az. 13 L 1707/21). Geklagt (und parallel im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung betragt) hat eine Behörde gegen einen Bescheid des Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI). In diesem sollte die Behörde dazu verpflichtet werden, entweder einen Datenschutzbeauftragten (DSB) zu benennen oder den aktuellen abzuberufen; das wird aus der Begründung leicht nicht ganz klar.

Interessant ist die Begründung des Verwaltungsgerichts zu der Frage, ob denn die Datenschutzbehörde überhaupt eine Ermächtigungsgrundlage nach der DSGVO besitzt, um Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter anzuweisen, einen DSB zu benennen oder einen bereits benannten abzuberufen (z.B. wegen mangelnder Qualifikation oder Interessenkonflikten).

Das Verwaltungsgericht führt zu dieser Frage aus:

Weiter maßgeblich zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass nach der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich die tatbestandlichen Voraussetzungen der vom Antragsgegner herangezogene Ermächtigungsgrundlage des Art. 58 Abs. 2 lit. d) DSGVO ohnehin nicht gegeben sind“.

In der Tat verlangt Abs. 2 lit. d) für die Anweisung durch den BfDI, dass „Verarbeitungsvorgänge“ vorliegen, die nach Ansicht der Aufsichtsbehörde auf bestimmte Weise und innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Einklang mit dieser Verordnung zu bringen sind.

Die Tätigkeit des DSB und auch seine (Ab-)Berufung stellt jedoch nach Ansicht des Verwaltungsgerichts keinen solchen tatbestandlichen Verarbeitungsvorgang dar.

Das Verwaltungsgericht dazu: „Dass die (Ab-)Berufung eines behördlichen Datenschutzbeauftragten hierunter fallen könnte, ist nicht ersichtlich.“

Und es gibt in Art. 58 Abs. 2 DSGVO auch keine andere Ermächtigung, die speziell die Benennung des DSB adressieren würde. Man könnte nun spitzfindig überlegen, dass etwa die Benennung eines DSB schon eine Verarbeitung darstellt und diese Verarbeitung nur zulässig sein kann, wenn etwa der DSB auch qualifiziert und geeignet ist. Es würde dann um die personenbezogenen Daten dieses DSB gehen, etwa um zu dokumentieren, dass Herr / Frau XYZ zum DSB benannt wurde. Die Verarbeitung könnte dann die Aufsichtsbehörde eventuell angreifen oder eine solche Verarbeitung in Einklang mit der DSGVO verlangen. Jedoch dürfte dies ggfs. nicht ausreichen, da in Bezug auf die Daten des DSB wohl nur die Frage zu beantworten ist, ob diese Verarbeitung (Verwendung des Namens des DSB) zulässig war? Im Zweifel wird die Verarbeitung zulässig gewesen sein, um eine gesetzliche Pflicht (Art. 37 DSGVO) zu erfüllen. Eventuell mag man aber auch (ein wenig von hinten durch die Brust) den Schluss ziehen, dass wenn die Benennung (oder fehlende Benennung) nicht zulässig im Sinne des Art. 37 DSGVO war, dann dürfte auch die Verarbeitung der Daten des DSB unzulässig sein.

Mal sehen, wie die Sache im Hauptverfahren ausgeht.

Update vom 13.12.2021: der Bescheid erging nicht durch die LDI, sondern den BfDI.

OVG Berlin-Brandenburg: Social Media Auftritt einer Behörde mit Kommentarfunktion ist nicht mitbestimmungspflichtig (Abweichung von BAG Ansicht)

Das OVG Berlin-Brandenburg hat am 4.8.2021 (Az. 62 PV 5.20) einen auch für die Privatwirtschaft relevanten Beschluss zu der Frage gefasst, ob Behördenauftritte auf Social Media Plattformen, wie Facebook oder Twitter, die eine Kommentarfunktion enthalten, als technischen Einrichtungen, die  zur Überwachung des Verhaltens oder der Leistung der Beschäftigten in der Dienststelle bestimmt sind, gelten. Das OVG lehnt diese Einordnung mit umfassender Begründung und ausdrücklich unter Abweichung von der Entscheidung des BAG vom 13.12.2016 (Az. 1 ABR 7/15) ab. Zwar urteilt das Gericht hier auf der Grundlage des § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG; diese Vorschrift stimmt im Wortlaut aber praktisch mit § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (für die Mitbestimmung des Betriebsrates) überein.

Sachverhalt

In dem Verfahren ging es u.a. um die Facebook-Seite @DeutscheRentenversicherungBund und den Instagram-Kanal @drvbunt. Der Antragsteller (wohl der Personalrat) forderte den wegen des Facebook-Auftritts zur Einleitung eines Mitbestimmungsverfahrens gemäß § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG unter Hinweis auf den Beschluss des BAG vom 13.12.2016 (Az. 1 ABR 7/15) auf.

Danach hat der Antragsteller einen Antrag beim Verwaltungsgericht Berlin anhängig gemacht, der darauf zielt festzustellen, dass der Antragsteller aus Anlass der Kommentarfunktion auf der bzw. dem vom Beteiligten betriebenen 1. Facebook-Seite, 2. lnstagram-Kanal „drvbunt“, 3. Twitter-Kanal @die_rente und 4. eine weitere Facebook-Seite jeweils nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG zu beteiligen ist.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag stattgegeben (Az. VG 72 K 7.19 PVB) und sich in der Begründung dem Beschluss des BAG angeschlossen. Es meint, Nutzerkommentare könnten abhängig von ihrem Inhalt dazu geeignet sein, zur Überwachung von Leistung bzw. Verhalten der Beschäftigten beizutragen. Das reiche zur Mitbestimmungspflicht aus. Hiergegen wendet sich der Beteiligte mit seiner Beschwerde.

Entscheidung

Das OVG lehnt, anders als noch das VG, den Feststellungantrag des Antragstellers als unbegründet ab.

Nach Auffassung des OVG sind die vom Beteiligten zu verantwortenden Auftritte in den sozialen Medien

auch im Hinblick auf die den Nutzern ermöglichte Kommentierung nicht gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG mitbestimmungspflichtig“.

Nach dieser Vorschrift bestimmt der Personalrat mit, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, über die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen. Maßgeblich ist nach Ansicht des OVG eine objektiv-finale Betrachtungsweise: Diejenigen technischen Einrichtungen unterliegen der Mitbestimmung des Personalrats, die nach ihrer Konstruktion oder konkreten Verwendungsweise eine Überwachung von Verhalten oder Leistung der Beschäftigten ermöglichen.

Besonderes Augenmerk legt das OVG auf die „objektive Eignung zur Überwachung“. Dies unterscheidet eine gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG mitbestimmungspflichtige technische Einrichtung von anderen technischen Einrichtungen, die sich lediglich zur technischen Hilfe eignen und nicht unter den Mitbestimmungstatbestand fallen.

Das OVG macht deutlich:

Nach dem Schutzzweck des Mitbestimmungstatbestands ist nicht schlechterdings jeder Technisierungsfortschritt mitbestimmungspflichtig.“

Das Mitbestimmungsrecht des Personalrats soll sicherstellen, dass die Beeinträchtigungen und Gefahren für den Schutz der Persönlichkeit des Beschäftigten am Arbeitsplatz, die von der Technisierung der Verhaltens- und Leistungskontrolle ausgehen, auf das erforderliche Maß beschränkt bleiben. Daher, so das OVG, ist auch ein Überwachungsdruck, der sich durch eine womöglich kleinliche, jedenfalls engmaschige persönliche Kontrolle seitens der Vorgesetzten aufbaut, nach § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG unbeachtlich.

Die Kontrolle muss vielmehr mit Hilfe einer technischen Einrichtung erfolgen“.

Für den Mitbestimmungstatbestand ist spezifisch, dass die Überwachung gerade mit Hilfe einer als technisch zu bewertenden Einrichtung erfolge. Das BVerwG habe die Überwachung „mit Hilfe technischer oder elektronischer Kontrolleinrichtungen“ so interpretiert, dass technische Einrichtungen Anlagen oder Geräte seien, die unter Verwendung nicht menschlicher, sondern anderweit erzeugter Energie mit den Mitteln der Technik, insbesondere der Elektronik, eine selbständige Leistung erbrächten.

Entscheidend stellt das OVG auf eine selbständige Leistung der technischen Einrichtung ab. Diese kann bei der Erhebung von Daten oder bei deren Auswertung zum Tragen kommen. Es reiche auch aus, wenn nur die Erhebung durch einen Automaten erfolgt und die Auswertung von Menschen durchgeführt wird.

Aber: „Wird hingegen sowohl die Eingabe leistungs- und verhaltensrelevanter Daten als auch deren Auswertung von Menschen vorgenommen, erbringt die Einrichtung keine selbständige Leistung“.

Die selbständige Leistung zur Überwachung ist nach Ansicht des OVG nicht schon darin zu sehen, dass Daten gespeichert werden. Nach diesen Maßstäben seien die hier in Rede stehenden sozialen Medien auch im Hinblick auf die Kommentarfunktion keine technischen Einrichtungen im Sinn des § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG, sondern technische Hilfsmittel, weil weder die Datenerhebung noch die Datenauswertung ganz oder teilweise automatisch erfolgt.

Der Grund: Die womöglich mitbestimmungsrelevanten Daten werden von Nutzern händisch eingegeben. Und die Anbieter der sozialen Medien stellen den Seiteninhabern weder die Möglichkeit einer automatisierten (Teil-)Auswertung der Kommentare bereit noch sehen die Programme den nachträglichen Anschluss eines zur Auswertung bestimmten Programms vor.

Es fehlt insgesamt eine selbständige Leistung der Einrichtung, ein datenverarbeitendes Programm im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts, das die Dienststelle zur Überwachung von Beschäftigten nutzen könnte“.

Das OVG lässt zudem eine Auswertungsmöglichkeit durch Dritte außer Betracht. Eine automatisierte Auswertung von Daten durch die Anbieter der sozialen Medien wie auch die Möglichkeit einer Ausspähung durch Geheim- bzw. Nachrichtendienste seien für den Mitbestimmungstatbestand, der allein die Überwachung durch den Dienstherrn bzw. Arbeitgeber der Beschäftigten in den Blick nimmt, unerheblich.

Das OVG macht deutlich, dass es mit seiner Begründung vom Beschluss des BAG vom 13.12.2016 (Az. 1 ABR 7/15) abweicht. Das BAG hielt es für ausreichend, dass die Informationen durch die Nutzer der Facebookseite aufgrund der dort vorhandenen Funktion eingegeben und mittels der von Facebook eingesetzten Software einer dauerhaften Speicherung und zeitlich unbegrenzten Zugriffsmöglichkeit zugeführt würden. Zwar traf das BAG traf seine Entscheidung zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Diese Vorschrift stimme aber im Wortlaut praktisch mit § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG überein. Zudem seien nach der Rechtsprechung des BVerwG beide Vorschriften im Wesentlichen gleich auszulegen.

Nach Ansicht des OVG wich angesichts dessen das BAG im Jahr 2016 von der vorhergehenden Rechtsprechung des BVerwG dadurch ab, „dass es nicht auf eine selbstständige Leistung der Einrichtung, auf ein datenverarbeitendes Programm abstellte“.

Das OVG verweist, als Grund für seine Abweichung, darauf, dass das BAG in seiner Entscheidung ein neuen Merkmal bzw. einen neuen Schutzgegenstand in die Auslegung des Mitbestimmungstatbestands einführt: die Prangerwirkung öffentlich zugänglicher Beschwerden / Kommentare über Beschäftigte.

Diese Aspekt, so das OVG, findet sich so in der Rechtsprechung des BVerwG noch nicht. Bislang war von den Gefahren der Technisierung nur der erhöhte Überwachungsdruck relevant, dem die Beschäftigten ausgesetzt sind.

Der Senat hält es allerdings für falsch, aus solchen Erwägungen heraus den Gesetzeszweck von § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG um einen vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Schutzgegenstand zu erweitern“.

Fazit

Das OVG ist ersichtlich um eine Eingrenzung des Mitbestimmungstatbestandes bemüht, der nach seiner Ansicht ansonsten das Potential hat, praktisch bei jeglicher Technologie anwendbar zu sein. Aufgrund der im Wesentlichen gleichen Auslegung des hier relevanten § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG mit § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, dürfte die Begründung zudem für privatwirtschaftliche Unternehmen und eine mögliche Beteiligung des Betriebsrates relevant sein.

Finanzgericht: Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO ist nicht mit einem Akteneinsichtsrecht identisch

Das Finanzgericht Baden-Württemberg (FG) hatte sich mit der Frage des Umfangs des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO und dessen Geltendmachung zum Zweck der Akteneinsicht zu befassen. Im Ergebnis lehnt das FG mit Urteil vom 26.7.2021 (Az. 10 K 3159/20) einen solchen Anspruch ab.

Sachverhalt

Vor dem FG streitig war, ob dem Kläger aufgrund von Art. 15 Abs. 1 DSGVO ein Anspruch auf Akteneinsicht in die Handakten im Rahmen einer Betriebsprüfung zusteht. Der Kläger ist selbstständiger Apotheker und der Beklagte führte eine Betriebsprüfung bei diesem durch. In diesem Zuge kam es zu Besprechungen zwischen der Steuerberaterin des Klägers und der Betriebsprüferin wegen angeblicher fehlender Ordnungsmäßigkeit der Buchführung. Der Kläger begehrte Akteneinsicht im laufenden Verfahren, welche jedoch abgelehnt wurde. Am Ende lief es darauf hinaus, dass der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg einreichte. Zur Begründung führt er aus, die Klage richte sich gegen die Ablehnung der Akteneinsicht in die Handakte der Betriebsprüfung. Aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO folge ein gebundener Anspruch auf Übersendung der Akten an den Prozessbevollmächtigten des Klägers, der nicht zeitlich eingeschränkt sei und damit auch im laufenden Betriebsprüfungsverfahren bestehe.

Entscheidung

Das FG geht davon aus, dass ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht nicht durch das Recht auf Auskunft über personenbezogene Daten nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO begründet wird und lehnte die Klage als unbegründet hab.

Nach Ansicht des FG ist die DSGVO jedenfalls bei einer Betriebsprüfung, die sich neben anderen Steuerarten auch auf die Umsatzsteuer erstreckt, insgesamt anwendbar.

Danach geht das FG etwas ausführlicher als andere Gerichte in Entscheidungen zu Art. 15 DSGVO zunächst auf den Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs ein.

Regelungsziel der DSGVO ist der in Art. 8 Abs. 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) und Art. 16 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gewährleistete Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Bereits auf der Ebene der Grundrechtecharta ist das Recht jeder Person verankert, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken (Art. 8 Abs. 2 Satz 2 GRC).

Die Betroffenenrechte der DSGVO wurzeln in der Erwägung des europäischen Normgebers, dass der Einzelne selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten bestimmen können muss. Natürliche Personen sollen daher grundsätzlich die Kontrolle über ihre eigenen Daten besitzen (Erwägungsgrund 7 Satz 2 zur DSGVO)

Das FG macht in seiner Begründung also zunächst deutlich, wie wichtig die Betroffenenrechte und gerade das Auskunftsrecht sind.

Das Auskunftsrecht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO und das Recht auf Erhalt einer Kopie gemäß Absatz 3 der Vorschrift erweisen sich damit als elementare subjektive Datenschutzrechte, da erst die Kenntnis darüber, ob und in welchem Umfang ein Verantwortlicher personenbezogene Daten verarbeitet, die betroffene Person in die Lage versetzt, weitere Rechte auszuüben

Weiter geht das FG davon aus, dass die frühere Rechtsprechung des EuGH zur Datenschutz-Richtlinie auf die Auslegung des Art. 15 DSGVO anwendbar ist. Denn der europäische Gesetzgeber wolle mit der DSGVO an die Ziele und Grundsätze der Datenschutzrichtlinie anknüpfen. Daher biete die in der Rechtsprechung vorgenommene Charakterisierung des Auskunftsanspruchs aus Art. 12 Buchst. a Datenschutz-Richtlinie auch Hinweise auf das Verständnis des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO.

Aber das Auskunftsrecht diene nach der Rechtsprechung des EuGH nicht der Schaffung eines Zugangs zu Verwaltungsdokumenten, weil dies nicht die Zielrichtung des europäischen Datenschutzrechts ist (EuGH-Urteil vom 17. Juli 2014, C-141/12, Rn. 46).

Zudem stellt das FG fest, dass die Erfüllung des Anspruchs („Ob“ der Auskunftserteilung) nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO nicht im Ermessen der Finanzbehörde stehe. Das „Wie“ der Auskunftserteilung werde durch Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 DSGVO jedoch nicht geregelt, so dass hieraus allein kein Akteneinsichtsrecht abgeleitet werden könne.

Das FG arbeitet dann nach und nach Argumente dafür heraus, was den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO von einem Akteneinsichtsrecht unterscheidet.

Einem vollumfassenden Akteneinsichtsanspruch bei der Finanzbehörde sei etwa schon aus sprachlichen Gründen zu widersprechen,

da sich Art. 15 DSGVO dem Wortlaut nach nur auf bestimmte personenbezogene Daten bezieht und nicht auf eine allgemeine Einsicht in die Akten

Zudem sei das Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO auch nicht mit einem Akteneinsichtsrecht identisch. Das Akteneinsichtsrecht beruhe vornehmlich auf dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz) und soll den Anspruchsteller in die Lage versetzen, die Grundlagen einer Verwaltungsentscheidung nachzuvollziehen.

Und weiter: „Ein Akteneinsichtsrecht geht stets über ein bloßes Auskunftsrecht hinsichtlich der verarbeiteten personenbezogenen Daten hinaus; so ergeben sich aus einer Akteneinsicht regelmäßig auch rechtliche Stellungnahmen, Entscheidungsentwürfe und Berechnungen der Amtsträger, Dienstanweisungen oder Ermittlungsergebnisse, die schon dem Grunde nach nicht unter den Schutzbereich der DSGVO und des § 32c AO fallen.“

Das FG stellt hier meines Erachtens zurecht die verschiedenen Zielrichtungen und Zweck der beiden Ansprüche bzw. Rechte gegenüber. Ein datenschutzrechtlicher Anspruch kann auch ohne Akteneinsicht erfüllt werden, indem dem Betroffenen im Fall der Verarbeitung personenbezogener Daten die konkreten Daten sowie die Einzelangaben i.S. von Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 DSGVO mitgeteilt werden. Diese Aussage des FG ist für die geführte Diskussion um die Reichweite des Art. 15 (sowohl Abs. 1 als auch Abs. 3) relevant.

Nach Ansicht des FG enthält die DSGVO keine Regelung über die Gewährung von Akteneinsicht, sondern lediglich über punktuelle datenschutzrechtliche Auskunftsrechte wie z.B. über die Zwecke der Verarbeitung, die Empfänger, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere Empfänger in Drittländern oder internationale Organisationen sowie falls möglich die geplante Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer.

Zuletzt hält das FG die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV zur Klärung der Form der Auskunftserteilung i.S. des Art. 15 Abs. 1 DSGVO für nicht geboten.

Fazit

Die Entscheidung des FG ist meiner Ansicht nach deswegen interessant, weil das Gericht sehr wohl die Bedeutung der Betroffenenrechte und des Auskunftsrechts erkennt und herausarbeitet. Dann jedoch diesen Anspruch in seiner Zielrichtung und seinem Umfang klar von einem Akteneinsichtsrecht abgrenzt und es damit ablehnt, auf Grundlage von Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO komplette Akteninhalte (in denen sich auch personenbezogene Daten des Betroffenen befinden) herauszugeben.

Bayerische Datenschutzbehörde: Auskunftsanspruch von Beschäftigten kann gestuft beantwortet werden

Das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht (BayLDA) hat seinen neuen Tätigkeitsbericht (PDF) für das Jahr 2020 vorgelegt. Die Behörde äußert sich auch zu dem (praktisch wichtigen) Thema des Auskunftsanspruch von (ehemaligen) Beschäftigten gegenüber ihrem Arbeitgeber.

Nach Ansicht der Behörde genügt es, wenn Beschäftigte von ihren Arbeitgebern pauschal Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten begehren, dass Arbeitgeber zunächst eine konkrete Auskunft zu den Personalstammdaten und im Übrigen zu den Kategorien verarbeiteter personenbezogener Daten erteilen. Für eine weitergehende Auskunft dürfen Arbeitgeber die Betroffenen bitten, ihren Anspruch zu präzisieren.

Die Behörde hält – angesichts der typischerweise größeren Anzahl unterschiedlicher vom Arbeitgeber durchgeführten Verarbeitungstätigkeiten und von verarbeiteten Daten der Beschäftigten – eine gestufte Vorgehensweise für gut vertretbar.

Schritt 1: Auskunft über die Personalstammdaten im Klartext, so dass der Beschäftigte erkennen kann, ob sie richtig sind. Das betrifft Name, Vorname, Geburtstag, Adresse und Geburtsort. Ansonsten genügt es, wenn Auskunft zu den Kategorien von personenbezogenen Daten, erteilt wird.

Schritt 2: Möchte der Betroffene mehr Daten, muss er seinen Auskunftsanspruch gemäß ErwG 63 Satz 7 DSGVO dahingehend präzisieren, auf welche Informationen und/oder Verarbeitungstätigkeiten sich das Auskunftsersuchen bezieht.

Erst nach dieser erfolgten Präzisierung ist dann der Arbeitgeber in der Pflicht, die entsprechenden Auskünfte mit konkreten Daten zu erteilen„.

Länderübergreifende Kontrolle der deutschen Aufsichtsbehörden zur Umsetzung der SchremsII-Entscheidung

Wie heute bekannt wurde (Pressemitteilung der Berliner Behörde, PDF), führen die deutschen Aufsichtsbehörden gemeinsam abgestimmte Kontrollen zur Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben zu internationalen Datenübermittlungen mithilfe von fünf verschiedenen Fragebögen in fünf Themenkomplexen durch. Jede Behörde entscheidet individuell, in welchen dieser Themenfelder sie durch Versenden der Fragebögen tätig wird und an welche Unternehmen sie herantritt. Daher kann es sein, dass manche Behörden nur einen oder wenige Fragebögen wirklich nutzen und andere wiederrum alle Fragebögen versenden. Die wie im Folgenden aufgeführt bezeichneten Fragebögen sind unter folgenden Links abrufbar:

Innerhalb dieses Blogbeitrags möchte ich auf einige Themen näher eingehen, die bei einer ersten groben Durchsicht der Fragebögen aufgefallen sind.

Selbstbezichtigungsfreiheit vs. Pflicht zur Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden

Anders als bei manch anderen Fragebögen, die in der Vergangenheit versendet wurden (siehe bspw. zum Fragebogen der Thüringer Behörde zu Webseiten hier), enthalten die öffentlich verfügbaren Versionen keinen Hinweis darauf, ob die Beantwortung der Fragen freiwillig oder verpflichtend ist. Wahrscheinlich wird dies in den Begleitschrieben der Behörden näher erläutert.

Eine sehr allgemein gehaltene Pflicht von Unternehmen zur Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden ist in Art. 31 DSGVO geregelt. Wie weit diese Pflicht reicht, ist derzeit noch vollkommen unklar. Sie wird nicht so ausgelegt werden können, dass Unternehmen sich selbst bezichtigen müssen. Dagegen sind Unternehmen nach dem nemo tenetur Grundsatz aus Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass der EuGH in mehreren Fällen geurteilt hat, dass die Beantwortung von Tatsachenfragen dem nemo tenetur Prinzip nicht entgegensteht (siehe bspw. EuGH, Rs. T-112/98, Rn. 78 zur Beantwortung von Tatsachenfragen ggü. der Kommission) und Unternehmen auch dann zur Beantwortung solcher Fragen verpflichtet sind, wenn die Antworten für sie selbstbelastend wirken. Dies wird man auch auf die Fragen der deutschen Behörden übertragen müssen, soweit sie sich ausschließlich auf Tatsachen beziehen.

Anderes gilt ggf. für Fragen, bei denen die Behörden nicht nach Tatsachen fragen. So z.B. in Frage 9 des Fragebogens zum E-Mail-Versand / Frage 12 zum Hosting / Frage 11 zum Webtracking / Frage 9 zu Bewerberportalen, in welcher um eine Beschreibung der Gründe für die Rechtmäßigkeit der Verwendung von Standardvertragsklauseln und nach Nachweisen gefragt wird. Innerhalb des Fragebogens zum konzerninternen Datenverkehr wird für den Fall, dass Unternehmen zum Schluss gelangt sind, dass der Empfänger im Drittland die Pflichten aus Standardvertragsklauseln erfüllen kann, nach Gründen für die Schlussfolgerung und Nachweisen gefragt (Frage 8).

Fragen zum Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten

Die Fragen der verschiedenen Bögen überschneiden sich zum Teil. So wird in jedem Fall nach den Rollen von Dienstleistern (Auftragsverarbeiter oder gemeinsam Verantwortlicher) und nach einem Auszug aus dem Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten gefragt. Zu Letzterem sind Unternehmen nach Art. 30 Abs. 4 DSGVO verpflichtet. Hierbei sollten Unternehmen beachten, dass von der Frage nach dem Verzeichnis nicht nur die Zusammenarbeit mit Dienstleistern betroffen ist, sondern bspw. nach den „die den Einsatz des Internetangebots betreffenden Teilen“ oder nach „den Betrieb der WWW-Seiten betreffenden Teilen“ gefragt wird. Nach meinem Verständnis meint dies in den beiden zitierten Fällen alle Einträge im Verzeichnis, die eine auf der Website erfolgende Datenverarbeitung betreffen. Man könnte mutmaßen, dass die Behörden sich durch diese weiteren Informationen aus dem Verzeichnis eine noch weiterreichende Prüfung von Websites ermöglichen wollen. Unternehmen sollten ihr Verzeichnis definitiv noch einmal prüfen, bevor sie es als Bestandteil einer Antwort an die Behörde herausgeben.

Frage nach einer möglichen Kenntnisnahme von Daten im Drittland

Innerhalb aller Fragebögen möchten die Behörden von Unternehmen eine Antwort auf die folgende Frage erhalten:

Sofern die (mögliche) Kenntnisnahme der personenbezogenen Daten in den USA erfolgt, unterfallen Sie oder ein Empfänger der Section 702 des Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) der USA, der US-Behörden Zugang zu den Daten bei Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste ermöglicht?

Im Fragebogen zum konzerninternen Datenverkehr heißt es außerdem wie folgt:

Bitte beachten Sie, dass es sich auch schon dann um eine Übermittlung im Sinne des Kapitel V DSGVO handelt, wenn Daten, die z.B. in Deutschland gespeichert sind, von einer in einem Drittland befindlichen Person per Fernzugriff aufgerufen werden können.

Hierbei fällt auf, dass die Aufsichtsbehörden wiederholt auf eine „mögliche“ Kenntnisnahme und auf einen möglichen Fernzugriff für eine „Übermittlung“ abstellen. In der DSGVO gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass bereits eine rein mögliche, aber nicht tatsächlich erfolgende Kenntnisnahme oder ein solch theoretisch möglicher Fernzugriff eine Datenübermittlung ist. Folglich ist es fragwürdig, was die Behörden aus der Antwort auf Ihre Frage machen möchten. Es ist zumindest denkbar, dass Unternehmen auf die Frage mit „ja“ antworten, für sie aber mangels einer tatsächlich erfolgten Übermittlung die Vorgaben der DSGVO zu Datenübermittlungen jedoch überhaupt nicht gelten und daher für den Dienstleister die Pflichten aus den SCC in Bezug auf die rein theoretische Übermittlung nicht gelten.

Frage zur Änderung der Rechtslage

Grundsätzlich gibt es bei den Fragebögen vielfach Überschneidungen. Innerhalb des Fragebogens zu Bewerberportalen und jenem zum konzerninternen Datenverkehr ist interessanterweise eine Frage zu Datenübermittlungen enthalten, die nicht in den anderen Bögen aufgeführt ist und wie folgt lautet:

Da sich die Rechtslage im Drittland ändern kann: Wie stellen Sie eine schnelle Reaktion und datenschutzkonforme Anpassung an neue Gegebenheiten sicher? Beschreiben Sie insbesondere den Melde- und den Reaktionsprozess zwischen Ihrem Unternehmen und dem Empfänger im Drittland.“

Die Frage wird für Unternehmen (zumindest auf dem Papier) einfach zu beantworten sein. Innerhalb der SCC gibt es eine Pflicht des im Drittland ansässigen Datenverarbeitenden, das in der EU ansässige Unternehmen über Änderungen in der Rechtslage zu informieren. Daher könnte es ausreichend sein, dass in einem in der Frage beschriebenen Fall die Kommunikation per E-Mail erfolgt und die Parteien in so einem Fall zusammenkommen und die Notwendigkeit prüfen, zusätzliche Maßnahmen für Datenübermittlungen zu vereinbaren oder eine zuständige Aufsichtsbehörde zu kontaktieren.

Frage nach geplanten Maßnahmen und deren Umsetzungsplan

Innerhalb der Fragebögen wird für den Fall, dass die Umstellung auf andere Systeme geplant ist, um Auskunft dazu gebeten, auf welche Lösungen Umstellungen geplant sind, und um Mitteilung zum Stand der Umsetzung nebst Zeitplan für den Abschluss gebeten. Unternehmen sollten aus meiner Sicht bei der Beantwortung dieser Frage vorsichtig sein. Einerseits spricht die Frage an sich dafür, dass sich die Behörden auch derzeit noch mit einem Umsetzungsplan zufrieden geben könnten und nicht die abrupte Umstellung auf solche Anbieter fordern, die Daten ausschließlich in der EU oder dem EWR verarbeiten. Andererseits ist gut denkbar, dass die Behörden in einem zweiten „Schwung“ in Zukunft Unternehmen dazu befragen werden, wie weit die Umsetzung vorangeschritten ist.

Verwaltungsakt oder kein Verwaltungsakt?

Auch bei dieser Aktion stellt sich aus meiner Sicht wieder einmal die Frage, ob die Fragebögen und etwaige Begleitschreiben der Behörde ein Verwaltungsakt sind oder nicht. Oft versuchen Datenschutzbehörden noch einen Verwaltungsaktcharakter abzulehnen, etwa unter Hinweis auf eine fehlende Rechtsbehelfsbelehrung. Dies spielt aber für die Qualifikation als Verwaltungsakt keine entscheidende Rolle. Meines Erachtens sprechen gute Gründe dafür, dass entsprechende behördliche Anschreiben mit diesen Fragebögen als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Auch das Verwaltungsgericht Mainz ging etwa in einem Urteil davon aus (Urt. v. 09.05.2019, 1 K 760/18.MZ), dass den Behörden eine entsprechende Verwaltungsaktbefugnis beim Versand eines Fragenkatalogs zusteht. Natürlich muss man dennoch das jeweilige Anschreiben und die dortigen Belehrungen sichten, um dann entscheiden zu können, ob die Merkmale eines Verwaltungsakts vorliegen.