Das OLG Dresden (Urt. v. 15.10.2024 – 4 U 940/24, abrufbar über die Suchfunktion des OLG) hat sich in einem Schadenersatzverfahren nach Art. 82 DSGVO mit der Frage befasst, inwiefern ein Verantwortlicher für Fehler seines Auftragsverarbeiters gegenüber Betroffenen haftet. Das Gericht legt einen strengen Maßstab an die Kontrollpflichten nach Art. 28 Abs. 1 DSGVO an und sprach, dem Grunde nach, einen Schadenersatzanspruch zu.
Sachverhalt
Das beklagte Unternehmen betreibt einen Online-Musikstreamingdienst und bediente sich in der Vergangenheit eines Auftragsverarbeiters nach Art. 28 DSGVO Sitz in Israel. Der Vertrag endete zum 1.12.2019. Am 30.11.2019 teilte der Auftragsverarbeiter per E-Mail mit, die Daten würden am Folgetag gelöscht. Dass dies auch tatsächlich geschehen sei, bestätigte der Auftragsverarbeiter aber erst mit E-Mail vom 22.2.2023 nach dem Bekanntwerden eines Datenhacks der Daten von Kunden der Beklagten. Hiervon umfasst waren auch Daten des klagenden Betroffenen.
Entscheidung
Das OLG Dresden geht davon aus, dass der Verantwortliche dem klagenden Betroffenen dem Grunde nach gemäß Art. 82 DSGVO zum Schadensersatz verpflichtet ist.
Konkret nimmt das Gericht einen Verstoß gegen die „Pflicht zur sorgfältigen Überwachung des … beauftragten externen Auftragsdatenverarbeiters“ nach Art. 28, 32 DSGVO an. Diese Begründung ist für die Praxis sehr relevant, da die Überwachungspflicht zwar durchaus bekannt ist. Jedoch gibt es zu deren konkreten Inhalt praktisch kaum Entscheidungen und Vorgaben von Gerichten.
Haftung des Auftraggebers für den Auftragsverarbeiter
Zunächst äußert sich das OLG zum Haftungsumfang des Verantwortlichen. Dieses haftet auch, wenn der Auftragsverarbeiter die Weisungen des Verantwortlichen ausführt und dadurch ein Schaden entsteht. Bedeutet nach Ansicht des Gerichts: missachtet der Auftragsverarbeiter eine rechtmäßige Weisung des Verantwortlichen, haftet der Verantwortliche auch hierfür.
Zwar bestehe in diesem Fall auch eine eigene Haftung des Auftragsdatenverarbeiters. Der Verantwortliche könne den Betroffenen aber nicht auf dessen vorrangige Inanspruchnahme verweisen, weil dies einem „wirksamen Schadensersatz“ im Sinne des Art. 82 Abs. 4 DSGVO entgegenstünde.
Nicht nur ordentliche Auswahl, sondern auch Überwachungspflicht
Danach geht das Gericht auf die konkrete Pflicht des Verantwortlichen, die es hier als verletzt ansieht. Nach Art. 28 Abs. 1 DSGVO darf der Verantwortliche nur solche Auftragnehmer als Auftragsverarbeiter beauftragen, die hinreichende Garantie dafür bieten, dass geeignete technische und organisatorische Maßnahmen im Einklang mit der DSGVO durchgeführt werden.
Das Gericht erstreckt diese ausdrückliche Pflicht zur ordentlichen Auswahl jedoch weiter, in das Auftragsverhältnis.
„Dies führt aber nicht nur zu einer Pflicht zur sorgfältigen Auswahl, sondern auch zu einer Pflicht zur sorgfältigen Überwachung des Auftragsverarbeiters durch den Verantwortlichen“.
Diese Pflicht zur Überwachung des Auftragsverarbeiters sei in Art. 28 Abs. 1 DSGVO zwar nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich jedoch aus der Formulierung der Norm („arbeitet […] nur mit“). Zudem setze die Pflicht nach Art. 28 Abs. 3 lit h) DSGVO eine solche Kontrollpflicht voraus, was auch die ordnungsgemäße Datenlöschung betrifft. Danach muss der Auftragsverarbeiter dem Verantwortlichen alle erforderlichen Informationen zum Nachweis der Einhaltung der in Art. 28 DSGVO niedergelegten Pflichten zur Verfügung stellen und Überprüfungen ermöglichen. Nach Art. 28 Abs. 3 lit. g) DSGVO hat der Auftragsverarbeiter nach Abschluss der Erbringung der Verarbeitungsleistungen, alle personenbezogenen Daten nach Wahl des Verantwortlichen entweder zu löschen oder zurückzugeben. Dies ergebe sich auch als Ausfluss der allgemeinen Grundsätze der „Rechtmäßigkeit“, (Art. 5 Abs. 1 lit. a) DSGVO), der „Datenminimierung“ (Art. 5 Abs. 1 lit. c) DSGVO) sowie der Speicherbegrenzung (Art. 5 Abs. 1 lit. e) DSGVO).
Die Pflichten des Auftragsverarbeiters korrespondieren mit Pflichten des Verantwortlichen.
Konkrete Umsetzung der Überwachungspflicht
Besonders praxisrelevant ist die Begründung des OLG, wie die vorgenannte Überwachungspflicht durch den Verantwortlichen konkret umgesetzt werden kann – welche Maßnahmen also (zumindest aus Sicht des Gerichts) erforderlich und auch ausreichend sind.
Zunächst gibt das OLG zu bedenken, dass „die Anforderungen an Auswahl und Überwachung dürfen dabei in der Praxis zwar nicht überspannt werden“ dürfen.
Das Gericht vertritt einen risikobasierten Ansatz hinsichtlich des Umfangs und der Tiefe der Überwachung des Auftragsverarbeiters.
- Wählt ein Unternehmen z.B. einen führenden und am Markt als zuverlässig bekannten IT-Dienstleister aus, so darf es grundsätzlich auf dessen Fachwissen und Zuverlässigkeit vertrauen. Eine „vollkommen praxisfremde“ Vor-Ort-Kontrolle sei dann grundsätzlich nicht erforderlich.
- Gesteigerte Anforderungen ergeben sich nach Ansicht des OLG, soweit z.B. große Datenmengen oder besonders sensible Daten gehostet werden sollen.
- Diese gesteigerten Kontrollpflichten gelten auch außerhalb der Verarbeitung personenbezogener Daten nach Art. 9 DSGVO.
Vorliegend betraf die Verarbeitung nicht unbedeutende Datenmengen, deren Verlust potentiell vielen Millionen Nutzern Schaden zufügen konnte. Infolgedessen war die Beklagte zu einer Überwachung ihres Auftragsverarbeiters dahingehend angehalten, dass
„dieser die ihm zur Verfügung gestellten Daten tatsächlich löscht und hierüber eine aussagekräftige Bescheinigung ausstellt“.
Diese Anforderung leitet das OLG direkt aus der Überwachungspflicht nach Art. 28 Abs. 1 DSGVO ab.
Der Verantwortliche ist hierbei verpflichtet,
„die Erfüllung der den Auftragsdatenverarbeiter hiernach treffenden Verpflichtungen zu kontrollieren, also die nach dem Vertrag erforderlichen Bestätigungen einzuholen“.
Anforderungen an die Löschbestätigung
Vorliegend wurde eine solche Bestätigung der Löschung jedoch nicht vom Verantwortlichen verlangt.
Den Pflichtenverstoß erkennt das OLG hier vor allem darin, dass die (eigentlich auch vertraglich geregelte Bestätigung der Löschung) nicht eingeholt wurde. Der Verantwortliche habe hier gegen seine Kontrollpflichten aus Art. 28 DSGVO verstoßen, da er nicht nach Ablauf der vertraglich geregelten Frist von dem Auftragsverarbeiter
„die ausdrückliche schriftliche Bestätigung einer tatsächlich durchgeführten Löschung aller bei dieser vorhandenen Datensätze angefordert hat, die eine detaillierte Auflistung der gelöschten Daten enthielt“.
Bedeutet: das Gericht verlangt
- eine Bestätigung der Löschung durch den Auftragsverarbeiter, die der Verantwortliche zur Not anfordern muss. Die reine Ankündigung des Auftragsverarbeiters, dass Daten gelöscht werden, genügte im konkreten Fall nicht.
- dass die Bestätigung Details dazu enthält, in welchem Umfang Daten gelöscht wurden.
Nach Ansicht des OLG wiegt hier vor allem der erste Punkt schwer. Die E-Mail des Auftragsverarbeiters enthielt lediglich die Ankündigung einer bevorstehenden, nicht aber die Bestätigung einer erfolgten Löschung.
„Die bloße Ankündigung einer Maßnahme ist jedoch nicht gleichwertig zu einer Bestätigung über deren Ausführung. Es ist allgemein bekannt, dass gleich ob in kleinen oder großen Unternehmen anstehende Vorgänge aufgeschoben und in der Folge auch vergessen werden können“.
Der Verantwortliche hätte sich mit der formal und inhaltlich nicht hinreichenden Ankündigung nicht zufrieden geben dürfen, sondern auf eine vollständige und rechtzeitige Löschungsbestätigung hinwirken müssen.
Grundsätzlich bestünde für den Verantwortlichen die Möglichkeit, die Haftungsprivilegierung nach Art. 82 Abs. 3 DSGVO in Anspruch zu nehmen. Dies jedoch nur, wenn ihm selbst keinerlei Fahrlässigkeit vorzuwerfen wäre. Dies war hier vorliegend angesichts des eigenen Pflichtenverstoßes aber nicht der Fall.
Im Ergebnis lehnte das OLG hier aber einen Schadenersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO ab, da der Kläger keinen tatsächlich erlittenen Schaden nachweisen konnte.
Fazit
Das OLG befasst sich recht ausführlich mit den Anforderungen an die Überwachungspflicht des Verantwortlichen für Auftragsverarbeiter. Sicherlich muss man nicht alle Ansichten des Gerichts teilen. Relevant ist aus meiner Sicht aber insbesondere die Auffassung, dass die Kontroll- bzw. Überwachungspflicht durchaus risikobasiert ausgestaltet sein darf. Gleichzeitig sollten Verantwortliche darauf achten, dass „bloße Ankündigungen“ durch Auftragsverarbeiter im Zweifel gerade nicht die tatsachliche Erfüllung bzw. Umsetzung von Pflichten, wie etwa der Löschung von Daten, belegen.