Ungültige DSGVO-Einwilligung – Wechsel auf andere Rechtsgrundlage möglich? Aussagen des EuGH, öst. BVwG und der öst. Aufsichtsbehörde

Ist es möglich, eine Verarbeitung, die ursprünglich auf eine Einwilligung gestützt war, auf einer anderen Rechtsgrundlage durchzuführen, wenn die Einwilligung wegfällt bzw. unwirksam ist?

Ansicht des EuGH

In seinem Urteil vom 4. Juli 2023 (C-252/21) hatte sich der EuGH unter anderem auch mit der Situation befasst, dass eine Einwilligung entweder nicht oder nicht wirksam eingeholt wurde. Die Frage war dann, ob die Datenverarbeitung eventuell dennoch auf Grundlage von Art. 6 Abs. 1 DSGVO gerechtfertigt sein kann.

Hierzu der EuGH (Rz. 92):

Liegt keine solche Einwilligung vor oder wurde die Einwilligung nicht freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich im Sinne von Art. 4 Nr. 11 DSGVO erteilt, ist eine solche Verarbeitung gleichwohl gerechtfertigt, wenn sie eine der in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b bis f genannten Voraussetzungen in Bezug auf die Erforderlichkeit erfüllt.“

Das Gericht adressiert klar zwei Situationen:

  • Eine Einwilligung wurde gar nicht eingeholt (also auch nicht versucht) („liegt keine solche Einwilligung vor“)
  • Eine Einwilligung wurde eingeholt, diese war aber unwirksam, da nicht alle Anforderungen der DSGVO eingehalten wurden („wurde die Einwilligung nicht freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich im Sinne von Art. 4 Nr. 11 DSGVO erteilt“)

Für beide Fälle geht der EuGH davon aus, dass die bestreffende Verarbeitung gleichwohl gerechtfertigt sein kann, wenn ein anderer Erlaubnistatbestand nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO erfüllt ist.

Diese Ansicht des EuGH ist für mich eine wichtige Feststellung. Der „switch“ von einer Rechtsgrundlage zur anderen ist danach möglich. Als Verantwortlicher muss man also nicht von Anfang an und für ewig allein eine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung nutzen. Aber: natürlich müssen die Anforderungen der jeweiligen Alternative des Art. 6 Abs. 1 DSGVO erfüllt sein.

Ansicht der österreichischen Datenschutzbehörde

Im neuesten Newsletter der österreichischen Datenschutzbehörde (DSB) bin ich auf eine genau entgegengesetzte Meinung der DSB aufmerksam geworden. Die DSB berichtet dort über eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG, dazu gleich unten).

Ebenso ist es in derartigen Fällen nicht möglich, im Falle der Ungültigkeit einer Einwilligung zum Zwecke des Profiling nachträglich auf berechtigte Interessen gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO zu wechseln, zumal sich die Unser Ö-Bonus Club GmbH diesbezüglich in sämtlichen vorgelegten Dokumenten und auch gegenüber den betroffenen Personen nur auf die Einwilligung gestützt hat.“

Die DSB verweist dazu dann auch auf das EuGH-Urteil. Diese Interpretation hat mich doch etwas verwundert, zumindest in der Pauschalität. Denn die Auslegung des EuGH (oben) geht meines Erachtens genau in eine andere Richtung.

Ich vermute, die DSB bezieht sich hier eher auf den konkreten Fall vor dem BVwG, in dem der Wechsel der Rechtsgrundlage am Ende nicht funktionierte. Aber nicht, weil dies grundsätzlich ausgeschlossen wäre, sondern auf Grund der nicht erfüllten Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO als Alternative. Aber: auch dort ging das Gericht davon aus, dass der Wechsel der Rechtsgrundlage möglich ist.

Ansicht des BVwG

In der Entscheidung des BVwG (GZ: W256 2227693-1/44E) brachte das betroffene Unternehmen vor, die gegenständliche Datenverarbeitung könne auch (hilfsweise) auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO oder Art. 6 Abs. 4 DSGVO gestützt werden.

Dies sah die DSB anders. Das BVwG wiederum schloss sich der Ansicht der Aufsichtsbehörde nicht an und verwies hierzu auch auf das Urteil des EuGH.

Der Ansicht der belangten Behörde, eine ungültige Einwilligungserklärung bewirke in jedem Fall eine unrechtmäßige Datenverarbeitung und mache eine Überprüfung sonstiger Rechtsgrundlagen entbehrlich, kann – wie bereits im Erkenntnis vom 31. August 2021 näher erläutert wurde –  nicht gefolgt werden (siehe dazu zwischenzeitig auch EuGH 4.7.2023, C-252/21, ECLI:EU:C:2023:537 Rz. 92).“

Eine ungültige Einwilligungserklärung führt nach Ansicht des BVwG damit gerade nicht zur unrechtmäßigen Verarbeitung, falls die Voraussetzungen einer anderen Rechtsgrundlage erfüllt sind. Im konkreten Fall prüft das BVwG dann den Tatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO. Das Problem hierbei war, dass nach Ansicht des Gerichts die vernünftigen Erwartungen der Betroffenen die Datenverarbeitung wohl nicht umfassten und die Betroffenen gerade nicht damit rechneten.

Das Unternehmen informierte Betroffene im Rahmen der Anmeldung, dass Daten u.a. zum Zweck der Durchführung von personalisierter Werbung verwendet werden. Jedoch stützte sich das Unternehmen in den Informationen (also AGB und Datenschutzhinweisen) ausschließlich auf Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO und führte dazu u.a. in den AGB aus, dass eine solche Datenverarbeitung „nur sofern das Mitglied einwilligt“ durchgeführt werde. Das BVwG geht davon aus, dass damit aber den Betroffenen gegenüber zum Ausdruck gebracht werde, dass die betroffene Person die Durchführung einer solchen Datenverarbeitung selbst in der Hand habe. Dies führte am Ende zum Überwiegen der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen.

Und beim Widerruf?

Art. 17 Abs. 1 lit. b DSGVO sieht gleichlaufend mit dieser Auslegung des EuGH und BVwG vor, dass eine Datenverarbeitung, die auf Grundlage einer nun widerrufenen Einwilligung erfolgt, dennoch fortgeführt werden kann – wenn die Anforderungen der jeweiligen Rechtsgrundlage beachtet werden.

Danach sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung widerruft und es „an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung“ fehlt.

Generalanwalt am EuGH: Bußgeldhaftung des Verantwortlichen für Tätigkeiten seines Auftragsverarbeiters

Eine weitere wichtige DSGVO-Interpretation vom 4.5.2023 (dem Datenschutztag am EuGH), die bisher kaum beachtet wurde: in der Rechtssache C-683/21 hat Generalanwalt Emiliou seine Schlussanträge (bisher nur auf Englisch verfügbar) zu einigen relevanten Fragen zur Anwendung der DSGVO vorgelegt. Zu der Frage der Voraussetzungen einer gemeinsamen Verantwortlichkeit hatte ich hier im Blog bereits berichtet.

Zudem befasst sich der Generalanwalt aber unter anderem auch noch mit der Frage, ob gegen einen für die Verarbeitung Verantwortlichen in Anwendung von Art. 83 DSGVO eine Geldbuße verhängt werden kann, wenn die rechtswidrige Verarbeitung personenbezogener Daten nicht von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen selbst, sondern von einem Auftragsverarbeiter vorgenommen wurde.

Also: die Haftung des Verantwortlichen für seinen Auftragsverarbeiter. Ein für die Praxis extrem relevantes Thema, wenn wir an die vielen Geschäfts- und Verarbeitungsprozesse denken, in denen Dienstleister als Auftragsverarbeiter eingesetzt werden.

Die kurze Antwort des Generalanwalts: „Meines Erachtens ist diese Frage zu bejahen.“

Zunächst stellt der Generalanwalt klar, dass ein für die Verarbeitung Verantwortlicher keine personenbezogenen Daten selbst verarbeiten muss, solange er das „Warum und Wie“ der betreffenden Verarbeitungsvorgänge bestimmt. Er kann sich hierfür eines Auftragsverarbeiters bedienen.

Die Definition des Auftragsverarbeiters in Art. 4 Nr. 8 DSGVO, dass „personenbezogene Daten im Auftrag des Verantwortlichen verarbeitet“ werden, bestätigt nach Ansicht des Generalanwalts, dass im Rahmen der Anwendung der DSGVO ein Verantwortlicher haftbar gemacht und nach Art. 83 DSGVO mit einer Geldbuße belegt werden kann,

wenn personenbezogene Daten unrechtmäßig verarbeitet werden und diese unrechtmäßige Verarbeitung nicht von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen selbst, sondern von einem Auftragsverarbeiter vorgenommen wurde“. (Rz. 94)

Die Haftung des Verantwortlichen gilt jedoch nicht für jede Tätigkeit des Auftragsverarbeiters, sondern nur, soweit ein Auftragsverarbeiter personenbezogene Daten im Auftrag des für die Verarbeitung Verantwortlichen verarbeitet.

Dies ist der Fall, solange der Auftragsverarbeiter im Rahmen des ihm von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen erteilten Auftrags handelt und die Daten gemäß den rechtmäßigen Anweisungen des für die Verarbeitung Verantwortlichen verarbeitet“. (Rz. 95)

Wichtig: die Haftung für den Dienstleister greift also nur, solange dieser im Rahmen des Auftrages agiert.

 „Wenn der Auftragsverarbeiter jedoch über den Rahmen dieses Auftrags hinausgeht und die als Auftragsverarbeiter erhaltenen Daten für seine eigenen Zwecke verwendet …, kann gegen den für die Verarbeitung Verantwortlichen meines Erachtens keine Geldbuße“ für die unrechtmäßige Verarbeitung verhängt werden.

Ein Bußgeld kann daher auch dann gegen einen Verantwortlichen für Tätigkeiten seines Auftragsverarbeiters verhängt werden, wenn personenbezogene Daten nur vom Auftragsverarbeiter rechtswidrig verarbeitet wurden und der Verantwortliche an der Verarbeitung nicht beteiligt ist.

Die Erkenntnisse des Generalanwalt werden viele eventuell nicht als „bahnbrechend“ ansehen. Meines Erachtens ist aber zum einen beachtenswert, dass das Haftungsrisiko des Auftraggebers für seine Dienstleister nun durch einen Generalanwalt am EuGH klar herausgestellt wurde. Zum anderen verdeutlichen die Schlussanträge für die Praxis noch einmal, dass man als Verantwortlicher genaues Augenmerk auf seine vertraglichen Beziehungen zu Auftragsverarbeitern legen sollte.

Was ist also wichtig:

  • Haftung für Tätigkeiten des Auftragsverarbeiters, solange dieser im Rahmen der rechtmäßigen Weisungen agiert
  • Daher ist sehr relevant, die das System der Weisungserteilung in der Praxis ausgestaltet ist (wer erteilt in welcher Form welche Weisungen?)
  • Zudem muss unbedingt klar definiert werden, was der Auftrag ist. Denn, je unbestimmter und damit umfassender der Auftrag an den Dienstleister ausgestaltet ist, desto höher ist mein Haftungsrisiko als Verantwortlicher

EuGH: Nicht jeder Verstoß gegen die DSGVO führt zu einer rechtswidrigen Verarbeitung

Gestern wurde in der Datenschutz-Community natürlich vor allem über die Urteile des EuGH in der Rechtssache C-487/21 und der Rechtssache C-300/21 diskutiert. Etwas untergegangen ist hierbei ein drittes Urteil des EuGH zum Datenschutzrecht (C-60/22). Die Praxisrelevanz dieses dritten Urteils ist meines Erachtens aber nicht zu unterschätzen. Der EuGH setzt sich mit der Frage auseinander, inwiefern Verstöße gegen Pflichten aus der DSGVO, die nicht direkt eine Verarbeitung personenbezogener Daten betreffen, zu einer Rechtswidrigkeit dieser Datenverarbeitung führen. Aus der Praxis kennen wir diese Diskussion etwa in Bezug auf fehlerhafte Datenschutzhinweise (Art. 12, 13 DSGVO) oder nicht abgeschlosse Verträge zur Auftragsvearbeitung (Art. 28 DSGVO).

Sachverhalt

Das VG Wiesbaden legte dem EuGH unter anderem die Frage vor, ob ein fehlendes oder unvollständiges Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten (Art. 30 DSGVO) oder eine fehlende Vereinbarung über eine gemeinsame Verantwortlichkeit (Art. 26 DSGVO) dazu führt, dass eine Datenverarbeitung „unrechtmäßig“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. d DSGVO ist.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH arbeitet in seinem Urteil sehr schön den Unterschied zwischen jenen Artikeln der DSGVO heraus, die die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung betreffen und solchen Vorschriften, die gerade keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit haben.

Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit – Art. 6 Abs. 1 DSGVO

Der Startpunkt ist für den EuGH der Grundsatz nach Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO, wonach personenbezogene Daten „auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden [müssen]“. Die dort geforderte Rechtmäßigkeit wird aber nach Ansicht des EuGH nicht in jedem Artikel der DSGVO geregelt oder durch jede Pflicht berührt.

Die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung wird aber, wie sich aus der Überschrift von Art. 6 der DS-GVO selbst ergibt, gerade in ebendiesem Artikel geregelt.“ (Rz. 55)

Die Liste der in Art. 6 Abs. 1 DSGVO genannten Fälle, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten als rechtmäßig angesehen werden kann, ist erschöpfend und abschließend. Die Einhaltung der in Art. 26 DSGVO und in Art. 30 DSGVO verankerten Pflichten zählen aber nach Ansicht des EuGH

nicht zu den in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 genannten Gründen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung“. (Rz. 59)

Der EuGH folgert hieraus, dass sich aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 DSGVO ableiten lässt,

dass ein Verstoß des Verarbeiters gegen die in den Art. 26 und 30 dieser Verordnung vorgesehenen Pflichten keine „unrechtmäßige Verarbeitung“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Buchst. d und Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung darstellt“. (Rz. 61)

Erweiterte Voraussetzungen aus Kap. II DSGVO

Der EuGH weitet die für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung relevanten Artikel dann aber doch etwas über Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO und Art. 6 Abs. 1 DSGVO hinaus aus.

Er orientiert sich hierbei an dem Umfang von Kapitel II DSGVO. Die Art. 7 bis 11 DSGVO betreffen, genau wie die Art. 5 und 6 DSGVO, die Grundsätze die zum Ziel haben,

den Umfang der dem Verarbeiter nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung obliegenden Pflichten näher zu bestimmen“ (Rz. 58).

Eine Verarbeitung personenbezogener Daten ist nur rechtmäßig, wenn sie diese anderen Bestimmungen des Kapitels II einhält, die im Wesentlichen die Einwilligung, die Verarbeitung besonderer Kategorien sensibler personenbezogener Daten und die Verarbeitung von personenbezogenen Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten betreffen.

Dann ist aus Sicht des EuGH aber auch Schluss. Weitere Artikel und Pflichten der DSGVO betreffen nicht die Frage der Rechtmäßigkeit einer Datenverarbeitung. Aus der Struktur und aus der Systematik der DSGVO gehe eindeutig hervor, dass sie zum einen zwischen den „Grundsätzen“, die in ihrem Kapitel II geregelt werden,

und zum anderen den „allgemeinen Pflichten“ unterscheidet, die zu Abschnitt 1 des Kapitels IV der Verordnung gehören, das die Verantwortlichen betrifft; zu diesen Pflichten zählen die Pflichten nach den Art. 26 und 30 ebendieser Verordnung.“ (Rz. 62)

Zuletzt für der EuGH auch das Ziel der DSGVO als Argument an, ein hohes Niveau des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen zu gewährleisten, insbesondere des Rechts auf Privatleben – bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Das Fehlen einer Vereinbarung nach Art. 26 DSGVO oder eines Verzeichnisses im Sinne von Art. 30 DSGVO reicht aber

für sich genommen nicht aus, um nachzuweisen, dass ein Verstoß gegen das Grundrecht auf den Schutz personenbezogener Daten vorliegt“. (Rz. 65)

Auswirkung für die Praxis

Der EuGH befasst sich in seinem Urteil natürlich nur mit den ihm vorgelegten Fragen und hier den Art. 26 und 30 DSGVO. Meiner Ansicht nach ist die Begründung des EuGH hinsichtlich der Frage, welche Artikel der DSGVO für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung relevant sind, aber so eindeutig, dass das Urteil auch auf andere Konstellationen und andere Pflichten aus der DSGVO übertragbar ist.

In der Praxis dürften hier vor allem die Informationspflichten nach Art. 12-14 DSGVO eine Rolle spielen. Einige Datenschutzbehörden gehen ja davon aus, dass ein Verstoß gegen Art. 13 DSGVO zu einer Rechtswidrigkeit der Verarbeitung führt. Diese Argumentation ist mit dem Urteil des EuGH nun meines Erachtens nicht mehr haltbar. Deklinieren wir es mit den Argumenten des EuGH durch:

  • Art. 12-14 DSGVO sind nicht in Art. 6 Abs. 1 DSGVO enthalten
  • Art. 12-14 DSGVO sind nicht Teil des Kapitel II der DSGVO

Dasselbe dürfte meines Erachtens insbesondere auch für Art. 28 DSGVO, also fehlende Verträge zur Auftragsverarbeitung oder auch einen Verstoß gegen Art. 32-36 DSGVO gelten, wenn also zB keine saubere DSFA durchgeführt wurde. Aber: natürlich sind Verstöße gegen diese Artikel weiter bußgeldbewehrt und evtl. entstehen auch Schadenersatzansprüche für Betroffene.

Europäischer Datenschutzausschuss veröffentlicht Bericht zur Prüfung von Datentransfers in Drittländer

Die europäischen Datenschutzbehörden haben einen Bericht (PDF) über die Ergebnisse der Arbeit der Task Force veröffentlicht, die eingerichtet wurde, um 101 Beschwerden zu prüfen, die von der Nichtregierungsorganisation NOYB im Anschluss an das Schrems-II-Urteil des EuGH in verschiedenen Mitgliedstaaten eingereicht wurden.

Wichtig für die Praxis: der Bericht legt die gemeinsamen Standpunkte der Mitglieder der Task Force dar und enthält Informationen über die Ergebnisse der betroffenen Fälle.

Nachfolgend habe ich einige relevante Aspekte zusammengefasst (auch wenn die Positionen nicht völlig neu sind):

  • Wenn ein bestimmtes Tool zur Erhebung personenbezogener Daten auf einer Website ohne Rechtsgrundlage im Sinne von Art. 6 Abs. 1 DSGVO verwendet wird, ist die Datenverarbeitung rechtswidrig, auch wenn es keine Probleme mit den Anforderungen von Kapitel V der DSGVO gibt.
  • Abschluss des EU-Standarddatenschutzklauseln gemäß Art. 46 Abs. 2 lit. c) DSGVO mit rückwirkender Kraft ist nicht zulässig.
  • Die Verschlüsselung durch den Datenimporteur ist keine geeignete Maßnahme, wenn der Datenimporteur als Anbieter des Tools gesetzlich verpflichtet ist, die kryptografischen Schlüssel ggü. Behörden in dem Drittland zur Verfügung zu stellen.
  • Anonymisierungsfunktionen sind keine geeignete Maßnahme, wenn die Anonymisierung erfolgt, nachdem die Daten in das Drittland übermittelt wurden.
  • In Fällen, in denen ein Auftragsverarbeiter als Datenexporteur im Auftrag des für die Verarbeitung Verantwortlichen (des Website-Betreibers) handelt, ist der für die Verarbeitung Verantwortliche ebenfalls für den Datentransfer verantwortlich und könnte gemäß Kapitel V der DSGVO haftbar gemacht werden.
  • Wenn der für die Verarbeitung Verantwortliche nicht in der Lage ist, ausreichende Angaben zu machen, um nachzuweisen, wie Übermittlungen stattfinden, könnte dies zu einem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 DSGVO (Rechenschaftspflicht) führen.  
  • Die Entscheidung eines Website-Betreibers, ein bestimmtes Tool für bestimmte Zwecke zu verwenden (z. B. zur Analyse des Verhaltens der Website-Besucher), wird als Bestimmung der „Zwecke und Mittel“ gemäß Art. 4 Abs. 7 DSGVO angesehen (womit der Website-Betreiber zum (Mit)Verantwortlichen wird).

EuGH zum Löschanspruch: Betroffener Person obliegt der Nachweis, dass Informationen unrichtig sind

In seiner Entscheidung C-460/20 (vom 8.12.2022) befasst sich der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit der Beweislast in Fällen, in denen eine betroffene Person die Entfernung von Links zu Webseite-Beiträgen aus der Liste der Suchergebnisse im Internet beantragt.

Die Entscheidung des Gerichtshofs

Von hoher Relevanz für die Praxis sind die Argumente des EuGH zur Beweislast in Fällen von Art. 17 DSGVO. Konkret ging es hier um die Frage, wer im Rahmen der Ausnahmevorschrift des Art. 17 Abs. 3 lit. a DSGVO die Beweislast dafür trägt nachzuweisen, dass auf einer Webseite aufgelistete Inhalte unrichtige Behauptungen enthalten.

Beantragt eine betroffene Person die Löschung bestimmter Daten mit der Begründung, diese seien unrichtig, so obliegt nach dem EuGH „dieser Person der Nachweis, dass die in diesem Inhalt enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig sind oder zumindest ein für diesen gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig ist“ (Rz. 68).

Dem EuGH zufolge darf jedoch keine übermäßige Belastung auferlegt werden, die geeignet wäre, die praktische Wirkung des Rechts auf Löschung zu beeinträchtigen. Daher muss die Person den Nachweis der Unrichtigkeit erbringen, kann aber nicht verpflichtet werden, eine gerichtliche Entscheidung gegen den Betreiber der betreffenden Website vorzulegen.

Was die andere Seite betrifft, so kann von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen nicht verlangt werden, dass er den Sachverhalt ermittelt und eine kontradiktorische Debatte mit dem Anbieter der Inhalte führt. Der EuGH geht davon aus, dass der Verantwortliche nicht verpflichtet ist, „bei der Suche nach Tatsachen, die von dem Auslistungsantrag nicht gestützt werden, aktiv mitzuwirken, um festzustellen, ob dieser Antrag stichhaltig ist“ (Rz. 70).

Eine ähnliche Argumentation für Art. 16 DSGVO?

In einer Entscheidung aus März 2022 (BVerwG 6 C 7.20) hatte sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ebenfalls mit einem ähnlichen Fall zu befassen, allerdings verlangte die betroffene Person eine Datenberichtigung nach Art. 16 DSGVO. Das BVerwG hat darauf hingewiesen, dass der Maßstab für die Qualifizierung eines Datums als „richtig“ oder „unrichtig“ im Sinne des Art. 16 S. 1 DSGVO zunächst die objektive Wirklichkeit ist.

Was die Beweislast betrifft, so verwies das Gericht auf Art. 5 Abs. 2 DSGVO. Nach Auffassung des BVerwG enthält die DSGVO enthält in Art. 5 Abs. 2 DSGVO eine spezifische Bestimmung, wer die Beweislast für die Richtigkeit des nach dem Begehren der betroffenen Person neu einzutragenden Datums trägt. Die Vorschrift regelt auch die Beweislast, soweit die Einhaltung der Grundsätze des Art. 5 Abs. 1 DSGVO in einem Rechtsstreit zwischen dem Verantwortlichen und der betroffenen Person im Streit steht.

Konkret bezogen auf einen Berichtigungsanspruch, bei dem die Richtigkeit eines Datums umstritten ist, ist damit auch die Frage verbunden, ob der für die Verarbeitung Verantwortliche mit der Verarbeitung des „alten“ oder aber des „neuen“ Datums seiner Pflicht zur Einhaltung des Grundsatzes der Datenrichtigkeit gerecht wird.

Das BVerwG führt aus, dass „die Nichterweislichkeit der Richtigkeit des Datums, dessen Verarbeitung der jeweilige Anspruchsteller mit dem Berichtigungsanspruch nach Art. 16 Satz 1 DSGVO begehrt, zu Lasten des Anspruchstellers geht“. Der Verantwortlichen muss im Zweifel in Zukunft nachweisen, dass ein durch ihn verarbeitetes Datum richtig ist. Wenn ihm aber dieser Nachweis obliegt, so das BVerwG, kann von ihm nicht verlangt werden, „ein vom Antragsteller angegebenes Datum, dessen Richtigkeit sich nicht feststellen lässt, einzutragen und weiter zu verarbeiten“.

Fazit

Beide Entscheidungen enthalten relevante Klarstellungen hinsichtlich der Beweislast in der Praxis, wenn es um die Bearbeitung von Betroffenenansprüchen geht. Unternehmen, die häufig mit Anfragen von betroffenen Personen konfrontiert sind, die die Berichtigung oder Löschung von Daten beantragen, ohne etwa einen Beweis für die Unrichtigkeit der vorhandenen Daten vorzulegen, können sich bei der Beurteilung der Frage, ob sie die Daten berichtigen müssen, an den Gründen dieser Entscheidungen orientieren.

Generalanwalt am EuGH: Mitarbeiter sind keine „Empfänger“ – zum Umfang des Auskunftsanspruchs

Am 15. Dezember 2022 hat Generalanwalt (GA) Sanchez-Bordona seine Schlussanträge in dem Verfahren C-579/21 vorgelegt. Es geht um einige interessante Fragen hinsichtlich des Umfangs des Auskunftsrechts nach Art. 15 DSGVO. Daneben wird auch kurz auf die Rolle von Mitarbeitern nach der DSGVO bei einem Verantwortlichen eingegangen.

Sachverhalt

In dem Verfahren geht es um einen Betroffenen, der davon Kenntnis erlangte, dass seine personenbezogenen Daten als Kunde des Verantwortlichen abgefragt worden waren. Während dieser Zeit war der Betroffene nicht nur Kunde, sondern auch beim Verantwortlichen beschäftigt.

Der Betroffene forderte den Verantwortlichen auf, ihn über die Identität derjenigen bei ihm Beschäftigten, die im genannten Zeitraum Zugang zu seinen Daten hatten, sowie über den Zweck der Datenverarbeitung zu informieren. Diesen Anspruch begründete er mit Art. 15 DSGVO und damit, dass er mittlerweile von dem Verantwortlichen gekündigt worden war und u. a. die Gründe für seine Kündigung klären wollte.

Der Verantwortliche weigerte sich Auskunft über die Namen der bei Beschäftigten zu erteilen, die personenbezogene Daten des Betroffenen verarbeitet hatten. Nach seiner Ansicht gilt das Recht aus Art. 15 DSGVO nicht für interne Verzeichnisse oder Tagesprotokolle, aus denen hervorgeht, welche Beschäftigten zu welchem Zeitpunkt Zugang zu dem die Kundendaten enthaltenden Datenverarbeitungssystem hatten.

Unterschied zwischen „personenbezogenen Daten“ und „Informationen“

Zunächst befasst sich der GA generell mit der Struktur und dem Inhalt des Art. 15 DSGVO. Er weist darauf hin, dass die Bestimmung zwischen „personenbezogenen Daten“ zum einen und „Informationen“ im Sinne von Abs. 1 Buchst. a bis h zum anderen klar unterscheide. Hieraus folgert er, dass „Informationen“ keine personenbezogenen Daten sind.

Die Informationen, die der betroffenen Person nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a bis h DSGVO zur Verfügung zu stellen sind, dürfen daher nicht mit den personenbezogenen Daten der betroffenen Person im Sinne von Art. 4 Abs. 1 DSGVO verwechselt werden.“

Der Zweck der Erteilung der Informationen liegt in dem Hinweis auf bestimmte Rechte der betroffenen Person oder insbesondere auf Aspekte, die mit der durchgeführten Verarbeitung zusammenhängen, wie z. B. auf ihren Zweck (d. h. den Grund der Verarbeitung) und ihren Gegenstand (die Kategorien der verarbeiteten Daten).

Aus diesem Grund, so der GA, hat der Betroffene im vorliegenden Fall auch keinen Anspruch auf seine personenbezogenen Daten über das Merkmal der „Informationen“, auch wenn nach den Informationen nach Art. 15 Abs. 1 lit. c DSGVO Empfänger zu benennen sind und hierunter eventuell (siehe dazu sogleich) Angaben dazu fallen, welche Mitarbeiter auf Daten des Betroffenen zugegriffen haben.

Der Betroffene hat einen Anspruch auf die „Informationen“ nach Abs. 1, aber nicht, weil diese Informationen an sich „personenbezogene Daten“ darstellten, sondern aufgrund der ausdrücklichen Vorgabe in Art. 15 Abs. 1 DSGVO.

Mitarbeiter als „Empfänger“ im Sinne der DSGVO?

Sodann widmet sich der GA der Frage, ob Mitarbeiter des Verantwortlichen, die mit personenbezogenen Daten umgehen, als „Empfänger“ nach Art. 15 Abs. 1 lit. c DSGVO zu benennen sind.

Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob der Betroffene, selbst wenn es sich nicht um seine personenbezogenen Daten handelt, im Licht von Art. 15 Abs. 1 lit. a und c DSGVO berechtigt ist, Auskunft über die beim Verantwortlichen Beschäftigten, die seine personenbezogenen Daten verarbeitet haben, zu erlangen.

Dem Betroffenen geht es hier gerade um die Identität der Beschäftigten, die seine Kundendaten abgefragt haben, sowie um den Zeitpunkt der Verarbeitung und den Verarbeitungszweck.

Der GA betrachtet zunächst die Definition des „Empfängers“ nach Art. 4 Nr. 9 DSGVO. Dies ist eine natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, der personenbezogene Daten offengelegt werden, unabhängig davon, ob es sich bei ihr um einen Dritten handelt oder nicht. Eine extensive Auslegung, wonach auch Mitarbeiter hierunter fallen, lehnt der GA ausdrücklich ab.

Er vertritt die Ansicht,

dass der Begriff des Empfängers nicht die bei einer juristischen Person Beschäftigten einschließt, die unter Nutzung des Datenverarbeitungssystems der juristischen Person und im Auftrag ihrer leitenden Organe die personenbezogenen Daten eines Kunden abfragen.“

Wenn die Beschäftigten unter der unmittelbaren Verantwortung des Verantwortlichen tätig werden, so werden sie schon aufgrund dessen nicht zum „Empfänger“ der Daten. Diese Hinweis des GA ist wichtig, da er danach auch die Situation betrachtet, in der Beschäftigte gerade nicht innerhalb ihrer Weisungen agieren.

Offenlegung gegenüber Behörde

Seinen Standpunkt begründet der GA unter anderem auch mit dem Zweck des Art. 15 DSGVO. Dieser liegt vor allem darin, die Rechtmäßigkeit des Umgangs mit den Daten zu prüfen. Hierfür ist aber, soweit Beschäftigte innerhalb ihrer festgelegten Aufgaben agieren, nicht erforderlich, diese Beschäftigten zu benennen. Denn sie sind in diesem Fall nicht die Verantwortlichen, sondern ihr Arbeitgeber.

Der GA weist zudem darauf hin, dass von dem Anspruch nach Art. 15 DSGVO die Situation zu unterscheiden ist,

dass gegenüber den Aufsichtsbehörden die Beschäftigten namhaft zu machen sind und der Zeitpunkt anzugeben ist, zu dem einer von ihnen auf die personenbezogenen Daten des Kunden zugegriffen hat (d. h. auf den Inhalt dieser Angaben in den Verzeichnissen oder Dateisystemen, auf die ich nachstehend eingehen werde), damit diese Behörden die Rechtmäßigkeit der Handlungen überprüfen können.“

Über die Prüfmöglichkeit der Aufsichtsbehörden ist der Betroffene also abgesichert und nach Ansicht des GA bedarf es daher keiner Benennung von Mitarbeitern schon im Rahmen des Art. 15 DSGVO.

Sollte der Betroffene, basierend auf den Angaben nach einem Auskunftsbegehren nach Art. 15 DSGVO, noch Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung haben, kann er (wie u.a. auch die Kommission in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat), an den Datenschutzbeauftragten wenden (Art. 38 Abs. 4 DSGVO) oder bei der Aufsichtsbehörde eine Beschwerde einreichen (Art. 15 Abs. 1 Buchst. f und Art. 77 DSGVO).

Der Betroffene ist

jedoch nicht berechtigt, unmittelbar Auskunft über die personenbezogenen Daten (die Identität) eines Beschäftigten zu erhalten, der dem Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter unterstellt ist und grundsätzlich in Übereinstimmung mit dessen Anweisungen handelt.“

Für diese Ansicht spricht zudem Art. 29 DSGVO, der sich auf „jede dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter unterstellte Person, die Zugang zu personenbezogenen Daten hat“, bezieht. Diese Personen dürfen die Daten nur auf Anweisung ihres Arbeitgebers verarbeiten, der der eigentliche Verantwortliche (oder Auftragsverarbeiter) ist.

Ausnahme: Mitarbeiterexzess

Wie oben angemerkt, macht der GA aber auch eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Mitarbeiter nicht als Empfänger zu benennen sind. Es könne vorkommen, dass sich ein Beschäftigter nicht an die vom Verantwortlichen festgelegten Verfahren hält und auf eigene Initiative unrechtmäßig die Daten von Kunden oder anderen Beschäftigten abfragt.

In einem solchen Fall handelt der unredlich handelnde Beschäftigte jedoch nicht im Auftrag und im Namen des Verantwortlichen.“

Dies sind also jene Fälle, in denen Mitarbeiter eigenmächtig und außerhalb ihrer vertraglich festgelegten Tätigkeiten auf Daten zugreifen oder mit diesen umgehen. Oft werden diese Situationen auch als sog. Mitarbeiterexzess bezeichnet.

Der GA ist der Ansicht, dass der unredlich handelnde Beschäftigte als „Empfänger“ angesehen werden kann,

da er die personenbezogenen Daten der betroffenen Person unrechtmäßig gegenüber sich selbst (im übertragenen Sinne) „offengelegt“ hat, oder als (eigenständig) Verantwortlicher.

Hiermit bestätigt der GA zudem, dass Mitarbeiter zu eigenen Verantwortlichen nach der DSGVO werden können, wenn sie sich über ihre arbeitsvertraglich festgelegten Aufgaben hinwegsetzen. Mit allen möglichen Konsequenzen, wie etwa die Erfüllung der DSGVO-Pflichten, dem Risiko eines Bußgeldes gegen sie selbst nach Art. 83 DSGVO oder Schadenersatzansprüche von Betroffenen nach Art. 82 DSGVO.

Fazit

Sollte der EuGH den Argumenten des GA folgen, wird damit höchstgerichtlich bestätigt, dass Mitarbeiter innerhalb eines Verantwortlicheren nicht als „Empfänger“ nach der DSGVO gelten und daher etwa nicht im Rahmen einer Auskunft nach Art. 15 DSGVO zu nennen sind.

EuGH: Art. 5 Abs. 2 & Art. 24 DSGVO erlegen Verantwortlichen auch (neue) Compliance-Pflichten auf

In seinem kürzlich ergangen Urteil vom 27.10.2022 (C-129/21) befasst sich der EuGH u.a. mit der Frage, welche konkreten Pflichten aus den sehr allgemein gehaltenen Vorgaben nach Art. 5 Abs. 2 und Art. 24 DSGVO erwachsen können.

Im konkreten Fall (und ich denke, man muss die Besonderheiten des Falles bei der Begründung durchaus berücksichtigen) geht der EuGH sogar soweit, aus der Rechenschaftspflicht nach Art. 5 Abs. 2 DSGVO, der Pflicht nach Art. 24 DSGVO und unter Auslegung der Art. 12 Abs. 2 und Art. 17 DSGVO, eine eigenständige Informationspflicht für Verantwortliche zu kreieren, die in dieser Form eigentlich nicht ausdrücklich in der DSGVO vorgesehen ist.

Konkret ging es um die Frage, ob Art. 5 Abs. 2 und Art. 24 DSGVO dahin auszulegen sind, dass eine Datenschutzbehörde verlangen kann, dass ein Anbieter von Teilnehmerverzeichnissen als Verantwortlicher geeignete technische und organisatorische Maßnahmen ergreift, um weitere Verantwortliche, nämlich den Telefondienstanbieter, der ihm die personenbezogenen Daten seines Teilnehmers übermittelt hat, sowie die anderen Anbieter von Teilnehmerverzeichnissen, denen er selbst solche Daten geliefert hat, über den Widerruf der Einwilligung dieses Teilnehmers zu informieren.

Die Auffassung des EuGH zu Art. 5 Abs. 2 und Art. 24 DSGVO:

erlegen Art. 5 Abs. 2 und Art. 24 DSGVO den für die Verarbeitung personenbezogener Daten Verantwortlichen eine allgemeine Rechenschaftspflicht sowie Compliance-Pflichten auf“.

Und:

Insbesondere verpflichten diese Bestimmungen die Verantwortlichen, zur Wahrung des Rechts auf Datenschutz geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um etwaigen Verstößen gegen die Vorschriften der DSGVO vorzubeugen„.

Für die Praxis von Relevanz dürfte hier der Hinweis auf „vorzubeugen“ sein. Konkret muss der Verantwortliche also ein Compliance-System schaffen, um Verstöße gegen die DSGVO vorab zu verhindern. Diese Aussage mag aus der allgemeinen „Compliance-Sicht“ wenig überraschen, geht es doch dort gerade darum, Rechtsverletzungen zu verhindern. Für den Bereich der DSGVO ist die Aussage aber relevant, da insbesondere Art. 24 DSGVO sehr allgemein gehalten und z. B. ein Verstoß gegen diese Norm nicht bußgeldbewährt ist.

Der EuGH verweist hier auch auf die Begründung des Generalanwalts. Dieser ging ganz explizit davon aus, dass eine solche hier in Rede stehende Informationspflicht zumindest nicht aus Art. 17 oder 19 DSGVO direkt ableitbar ist.

Es trifft zu, dass Art. 17 Abs. 2 und Art. 19 DSGVO spezifische Informationspflichten festlegen, die „Verantwortliche“ (im Hinblick auf Daten, die öffentlich gemacht worden sind und deren Löschung beantragt worden ist) bzw. „Empfänger“ betreffen. Diese Bestimmungen erfassen jedoch nicht den in Rede stehenden Sachverhalt,…

Dennoch, so der EuGH, ergebe sich aus den allgemeinen Verpflichtungen nach Art. 5 Abs. 2 und Art. 24 DSGVO in Verbindung mit Art. 19 DSGVO, dass ein Verantwortlicher geeignete technische und organisatorische Maßnahmen ergreifen muss, um die anderen Anbieter von Teilnehmerverzeichnissen, denen er solche Daten geliefert hat, über den an ihn gerichteten Widerruf der Einwilligung der betroffenen Person zu informieren.

Dies ergebe sich auch aus einer entsprechenden Auslegung des in Art. 12 Abs. 2 DSGVO vorgesehenen Erfordernisses, wonach der Verantwortliche verpflichtet ist, der betroffenen Person die Ausübung der Rechte zu erleichtern, die ihr u. a. durch Art. 17 DSGVO gewährt werden.

EuGH zu den Nachweispflichten bei der Löschung von Daten

In einem kürzlich ergangenen Urteil (Urt. v. 20.10.2022, C-77/21) befasste sich der EuGH mit der praxisrelevanten (wenn durchaus auch ungeliebten) Frage, welche Anforderungen bei der Löschung von Daten und insbesondere dem Nachweis der Erfüllung der Löschpflicht zu beachten sind.

Ausgangsverfahren

Ein ungarisches Unternehmen richtete nach einer technischen Störung, die den Betrieb eines Servers beeinträchtigte, unter der Bezeichnung „test“ eine Testdatenbank ein. In diese kopierte das Unternehmen personenbezogene Daten von ungefähr einem Drittel der Kunden, die in einer anderen Datenbank gespeichert waren, die mit einer Website verlinkt werden konnte und die aktualisierten Daten der Newsletter-Abonnenten für Zwecke der Direktwerbung sowie die Zugangsdaten der Systemadministratoren zur Schnittstelle der Website enthielt. Die ungarische Datenschutzbehörde entschied, dass das Unternehmen gegen Art. 5 Abs. 1 lit. b und e DSGVO verstoßen habe, da es die Testdatenbank nach der Durchführung der notwendigen Tests und Fehlerbeseitigungen nicht sofort gelöscht habe. Hierdurch seien in der Testdatenbank eine große Menge Kundendaten fast 18 Monate ohne irgendeinen Zweck und in einer Weise gespeichert worden seien, die die Identifizierung der betroffenen Personen ermöglicht habe.

Entscheidung des EuGH

In seinem Urteil befasst sich der EuGH ab Rz. 46 ff. mit dem Grundsatz der Speicherbegrenzung und damit auch der Frage der Lösch- und einer erforderlichen Nachweispflicht.

Zunächst stellt der EuGH (wie schon öfter in der Vergangenheit) klar, dass die Grundsätze des Art. 5 Abs. 1 DSGVO kumulativ einzuhalten sind. „Daher muss die Speicherung personenbezogener Daten nicht nur dem Grundsatz der „Zweckbindung“, sondern auch dem Grundsatz der „Speicherbegrenzung“ genügen“.

Bezogen auf den konkreten Fall bewertet der EuGH danach die Frage, ob Art. 5 Abs. 1 lit. e DSGVO dahin auszulegen ist, dass der in dieser Vorschrift vorgesehene Grundsatz der „Speicherbegrenzung“ es dem Verantwortlichen verwehrt, in einer zu Testzwecken und zur Behebung von Fehlern eingerichteten Datenbank personenbezogene Daten, die zuvor für andere Zwecke erhoben worden waren, länger zu speichern als für die Durchführung dieser Tests und die Behebung dieser Fehler erforderlich ist.

Nachweis über Erforderlichkeit der Speicherung

Nach Ansicht des EuGH muss der Verantwortliche in der Lage sein, gemäß dem Grundsatz der Rechenschaftspflicht, „nachzuweisen, dass die personenbezogenen Daten nur so lange gespeichert werden, wie es für die Erreichung der Zwecke, für die sie erhoben oder weiterverarbeitet wurden, erforderlich ist“.

Praktisch dürfte dies für ein Löschkonzept bedeuten, dass für personenbezogene Daten die jeweilige festgelegte Aufbewahrungsdauer genau geprüft und gut begründbar sein muss. Im Grunde sieht der EuGH hier zwei Ziele der Nachweispflicht:

  • Dass die personenbezogenen Daten rein faktisch nur für den Zeitraum der Erforderlichkeit verarbeitet werden und danach nicht mehr (personenbeziehbar) vorhanden sind.
  • Dass die Erforderlichkeit der Verarbeitung zur Erreichung der definierten Zwecke dargelegt werden kann.

Der erste Aspekt ist aus meiner Sicht eher ein technisches bzw. organisatorisches Thema. Der zweite Aspekt betrifft eher die juristische Begründung der Verarbeitung.

Ein Datum kann mehreren Zwecken dienen – aber irgendwann ist Schluss

Der EuGH stellt im Hinblick auf die Erforderlichkeit zudem klar, dass es nicht zwingend nur einen Verarbeitungszweck geben muss, für den ein Datum verwendet wird. Vielmehr kann ein Datum im Laufe der Zeit mehreren Zwecken dienen. Jedoch ist die Verarbeitung eines Datums dann nicht mehr zulässig, wenn das Datum für die Erreichung der Zwecke nicht mehr erforderlich ist. In diesem Fall muss das Datum gelöscht werden, wenn diese Zwecke erreicht sind. Für den konkreten Fall geht der EuGH daher davon aus, dass der Grundsatz der „Speicherbegrenzung“ es dem Verantwortlichen verwehrt, „in einer zu Testzwecken und zur Behebung von Fehlern eingerichteten Datenbank personenbezogene Daten, die zuvor für andere Zwecke erhoben worden waren, länger zu speichern als für die Durchführung dieser Tests und die Behebung dieser Fehler erforderlich ist“. Für die Praxis der Datenlöschung, etwa in Form eines Löschkonzepts, kommt dem Merkmal der „Erforderlichkeit“ und damit der Begründung, warum Daten noch verwendet werden müssen, entscheidende Bedeutung zu.

Sensible Daten überall? – Versuch einer (irgendwie handhabbaren) Interpretation des EuGH-Urteils

Mit seinem gestrigen Urteil in der Rs. C-184/20 (Urt. v. 1.8.2022) hat er EuGH für einige Diskussionen und sicher auch hochgezogene Augenbrauen im #TeamDatenschutz gesorgt. Wobei man, wenn man ehrlich ist und die EuGH-Rechtsprechung zum Datenschutz verfolgt, nicht mehr allzu sehr überrascht von Entscheidungen sein sollte, in denen das Gericht den Anwendungsbereich der DSGVO weit auslegt und per se betroffenenfreundlich urteilt.

Was hat der EuGH entschieden?

Auf die Hintergründe des Urteils möchte ich hier nicht eingehen. Für diesen Blogbeitrag reicht es aus zu wissen, dass es in Litauen aus Gründen der Transparenz und Korruptionsbekämpfung eine gesetzliche Pflicht für gewisse Personen gibt, bestimmte Daten an eine Behörde zu geben und diese Behörde den Großteil dieser Daten dann auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Zu den Daten gehören auch namensbezogenen Daten über den Ehegatten, Partner oder Lebensgefährten der erklärungspflichtigen Person oder über ihr nahestehende oder bekannte Personen, die einen Interessenkonflikt begründen können, sowie die Angabe des Gegenstands der Transaktionen mit einem Wert von mehr als 3 000 Euro.

Der EuGH geht am Ende ausdrücklich von einer „weiten Auslegung“ (Rz. 125) Begriffe „besondere Kategorien personenbezogener Daten“ und „sensible Daten“ (Art. 9 Abs. 1 DSGVO) aus.

Eine Verarbeitung von Daten, „die geeignet sind, die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person indirekt zu offenbaren“, stelle eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne dieser Bestimmungen dar (Rz. 128).

Der EuGH lässt es für die Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 1 DSGVO mithin genügen, dass aus Daten indirekt auf besondere Kategorien personenbezogener Daten geschlossen werden kann. Bsp: gibt ein Mann an, dass er mit einem Mann verheiratet ist, offenbart dies nach Ansicht des EuGH wohl seine sexuelle Orientierung. Art. 9 Abs. 1 DSGVO ist anwendbar, auch wenn die Daten dies selbst inhaltlich nicht (direkt) offenbaren.

Begründung des EuGH

Die Begründung für dieses Ergebnis, wenn man die generelle Linie des EuGH bei Datenschutz-Themen betrachtet, wenig überraschend. Im Kern nennt der EuGH zwei Argumente.

Erstens, eine kontextbezogene Analyse. Eine enge Auslegung des Begriffs der besonderen Kategorien personenbezogener Daten liefe insbesondere Art. 4 Nr. 15 der DSGVO zuwider, wonach „Gesundheitsdaten“ personenbezogene Daten sind, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person, einschließlich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand „hervorgehen“, und stünde auch im Widerspruch zu ErwG 35 DSGVO.

Zweitens, eine zweckbezogene Auslegung der Norm innerhalb der DSGVO. Für eine weite Auslegung spreche das Ziel der DSGVO, das darin besteht, ein hohes Niveau des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen – insbesondere ihres Privatlebens – bei der Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten zu gewährleisten.

Mögliche Folgen des Urteils

Überträgt man die Begründung des EuGH in die Praxis, bedeutet dies im worst case, dass bei sehr vielen Verarbeitungen die zusätzlichen und strengen Ausnahmen aus Art. 9 Abs. 2 DSGVO beachtet werden müssen. Dort findet sich insbesondere kein Erlaubnistatbestand der Vertragserfüllung wie in Art. 6 Abs. 1 lit. b oder der Interessenabwägung wie in Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO. Ergebnis: kauft jemand online Schmerztabletten, ergibt sich hieraus indirekt der Gesundheitszustand. Art. 9 DSGVO ist anwendbar und im Zweifel muss für die Zulässigkeit der Verarbeitung eine Einwilligung eingeholt werden – die Rechtsgrundlage der Vertragsdurchführung würde nicht ausreichen.  

Ansatz einer eigenen Interpretation

Das oben beispielhaft dargestellte Ergebnis erscheint schon für sich sehr extrem. Noch diskussionswürdiger wird es, wenn man bedenkt, dass die Person, die Schmerztabletten kauft, ja gar nicht gerade akut Schmerzen haben muss oder diese Tabletten für ein Familienmitglied einkauft. Dann wäre selbst der indirekte Bezug zum Gesundheitszustand eigentlich nicht gegeben, weil der Käufer aktuell eben nicht Schmerzen hat oder Daten der anderen Person gar nicht verarbeitet werden.

Ich kann mir, nach erster Sichtung der Begründung, in der Zukunft daher eventuell die folgende Anwendung und Interpretation von Art. 9 Abs. 1 DSGVO vorstellen. Einerseits, um dem Willen des EuGH (weite Auslegung) zu genügen. Andererseits, um nicht jeglichen (möglichen!) Bezug zu Art. 9-Daten ausreichen zu lassen.

1.

Der EuGH geht klar davon aus, dass es in dem entschiedenen Fall tatsächlich möglich war, „aus den namensbezogenen Daten über den Ehegatten, Lebensgefährten oder Partner der erklärungspflichtigen Person bestimmte Informationen über das Sexualleben oder die sexuelle Orientierung dieser Person und ihres Ehegatten, Lebensgefährten oder Partners abzuleiten“ (Rz. 119).

Dies ist mE ein wichtiger Aspekt. Der EuGH begründet seine Ansicht also stets vor der Tatsache, dass die Ableitung auf wirklich existierende besondere Kategorien personenbezogener Daten zumindest möglich war.

2.

Der EuGH fußt seine Begründung zudem ausdrücklich auf der Annahme, dass Daten betroffen sind, „aus denen mittels gedanklicher Kombination oder Ableitung auf die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person geschlossen werden kann“ (Rz. 120).

Dieser Schluss auf besondere Kategorien personenbezogener Daten muss (theoretisch) wirklich möglich sein. Art. 9 Abs. 1 DSGVO muss daher nach Ansicht des EuGH zwar weit ausgelegt werden. Jedoch wiederholt der EuGH mehrmals in seiner Begründung den Aspekt, dass es um Daten geht, „aus denen sich mittels eines Denkvorgangs der Ableitung oder des Abgleichs indirekt sensible Informationen ergeben“ (Rz. 123).

3.

Art. 9 Abs. 1 DSGVO ist daher meines Erachtens zumindest dann (auch im Einklang mit dem EuGH) nicht anwendbar, wenn die indirekte Offenbarung bzw. der indirekte Schluss auf besondere Kategorien personenbezogener Daten faktisch nicht möglich ist, weil es diese sensiblen Daten gar nicht gibt. Dann kann sich, im Duktus des EuGH, mittels Ableitung oder Abgleich diese indirekte Information rein faktisch nicht ergeben. Eine falsche Ableitung (Person kauft Schmerztabletten, ist faktisch nicht krank, der Verantwortliche geht aber davon aus) darf hier meines Erachtens keine Beachtung finden, da nach dem Grundsatz aus Art. 5 Abs. 1 lit. d (Richtigkeit) per se nur richtige Daten verarbeitet werden dürfen.

Das würde wohl nicht in jedem Fall in der Praxis helfen, Art. 9 Abs. 1 DSGVO auszuschließen. Jedoch dürfte man in einigen, extrem praxisrelevanten Fällen dennoch allein Art. 6 Abs. 1 DSGVO zur Anwendung bringen können.  

Bezogen auf mein Beispiel der Schmerztabletten oben: da die Person, die den Kauf tätigt, nicht selbst krank ist, liegen keine Art. 9-Daten vor. Die Ableitung aus dem Kauf darauf, dass die Person selbst Schmerzen hat (= Gesundheitszustand) wäre falsch bzw. würde ins Leere gehen.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob diese Idee und meine Gedanken dazu die beste Lösung darstellen. Zumindest könnte man hierüber in gewissen Konstellationen zu einem (irgendwie noch handhabbaren) Ergebnis für die Praxis gelangen, nicht in jedem Fall eine zusätzliche Einwilligung nach Art. 9 Abs. 1 lit. a DSGVO einholen zu müssen.

Baldiges EuGH-Urteil – Auskunft und Information allein über die Kategorien der Empfänger von Daten ausreichend?

Am 9. Juni 2022 hat Generalanwalt Pitruzzella zu einer nahenden Entscheidung des EuGH (Rechtssache C‑154/21) seine Schlussanträge vorgelegt.

In dem Verfahren aus Österreich geht es um die praxisrelevante Frage, ob Verantwortliche im Rahmen der Antwort auf Auskunftsanträge nach Art. 15 DSGVO den Betroffenen die konkreten Empfänger von Daten oder aber nur die Empfängerkategorien zur Verfügung stellen müssen (Art. 15 Abs. 1 lit. c DSGVO). Die Antwort auf diese Frage hat weitreichende Konsequenzen: müssten alle Datenempfänger konkret benannt werden, bedeutet dies, dass der zur Auskunft verpflichtete Verantwortliche jegliche (gemeinsam oder getrennt) Verantwortliche und (!) Auftragsverarbeiter aufführen muss, die Daten von ihm erhalten. Denn „Empfänger“ sind auch die Auftragsverarbeiter.

In der Praxis bedeutet dies natürlich, dass man im Grunde auch alle Stellen kennen muss, die Daten erhalten. Das kann in der heutigen Zeit durchaus herausfordernd sein. Stellen Sie sich hierzu einmal eine Webseite / App vor, auf der verschiedenste Dienstleister eingebunden sind.

Konkret geht es in dem Verfahren um die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 lit. c DSGVO, in dem es heißt: „die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden“.

Der Generalanwalt legt die Norm nach verschiedenen Kriterien, u.a. Wortlaut und Sinn und Zweck aus. Hierbei kommt er zu einem klaren Ergebnis: Art. 15 Abs. 1 lit. c DSGVO ist dahin auszulegen, dass das dort vorgesehene Auskunftsrecht der betroffenen Person auf deren Antrag notwendigerweise auf die Angabe der konkreten Empfänger der Offenlegungen ihrer personenbezogenen Daten zu erstrecken ist.

Zur Begründung führt der Generalanwalt unter anderem folgende Argumente an:

  • Die Begriffe „Empfänger“ und „Kategorien von Empfängern“ sind neutral nebeneinander aufgeführt, ohne dass daraus geschlossen werden kann, dass zwischen diesen Begriffen ein Vorrangverhältnis besteht.
  • Die Struktur der Norm spreche dafür, einer Auslegung den Vorzug zu geben, wonach es der betroffenen Person obliegt, die Wahl zwischen den beiden dort vorgesehenen Alternativen zu treffen.
  • Die Ausübung des Auskunftsrechts muss es der betroffenen Person insbesondere ermöglichen, sich nicht nur zu vergewissern, dass ihre personenbezogenen Daten fehlerfrei verarbeitet werden, sondern auch, dass diese an Empfänger gerichtet sind, die zu ihrer Verarbeitung befugt sind. Das setzt grundsätzlich voraus, dass die Mitteilung von Informationen so präzise wie möglich erfolgt.
  • Würde man die Nennung von Kategorien ausreichen lassen, würde der betroffenen Person die Möglichkeit genommen, in vollem Umfang die Rechtmäßigkeit der vom Verantwortlichen vorgenommenen Verarbeitung und insbesondere die Rechtmäßigkeit der bereits erfolgten Offenlegungen von Daten überprüfen zu können.

Gleichzeitig macht der Generalanwalt zwei Ausnahmen:

  • In einem Fall, in dem aus tatsächlichen Gründen die Erteilung einer Auskunft über konkrete Empfänger nicht möglich ist, z. B. wenn diese tatsächlich noch nicht identifiziert wurden.
  • Zudem sei die Ausübung des Auskunftsrechts der betroffenen Person und die Erfüllung der entsprechenden Verpflichtung des Aufraggebers anhand der Grundsätze der Rechtmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen. Diese Ausnahme ist spannend, denn hier verweist der Generalanwalt auch auf den möglichen Einwand nach Art. 12 Abs. 5 DSGVO, bei offenkundig unbegründeten oder exzessiven Anträgen.

Es handelt sich „nur“ um die Schlussanträge. Doch wenn man die Rechtsprechung des EuGH im Bereich Datenschutz anschaut, würde ich vermuten, dass er dem Ergebnis des Generalanwalts folgt.

Was bedeutet dies?

  • Sollte der EuGH entsprechend entscheiden, müssen bei der Beantwortung von Auskunftsanträgen jeweils immer die spezifischen Empfänger der Daten angegeben werden. Das setzt voraus, dass datenverarbeitendes Stelle alle Empfänmger auch kennen. Bedeutet: man muss wissen, wo welche Daten hingehen. Das ist in der Praxis eine Herausforderung. Ein gut geführter Verzeichnis nach Art. 30 DSGVO kann in solchen Fällen ein echter Segen sein.
  • Auch Art. 13 Abs. 1 und 14 Abs. 1 DSGVO enthalten eine entsprechende Vorgabe, wie Art. 15 Abs. 1 lit. c DSGVO; ich würde vermuten, dass insbesondere Aufsichtsbehörden die Begründung in diesem Verfahren daher auch auf Datenschutzerklärungen anwenden. Das bedeutet, diese müssten angepasst und um Empfängerlisten ergänzt werden.