Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Mai 2014 in Sachen Google (C-131/12), haben sich selbstverständlich auf die Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Union mit den möglichen Konsequenzen der Entscheidung für die in Planung befindliche Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) befasst.
In der letzten Woche wurden mehrere Dokumente aus der zuständigen Ratsarbeitsgruppe (Dapix) zu dem Thema veröffentlicht (diese und viele andere Dokumente finden sich auf einer Übersichtsseite hier im Blog). Aus den Papieren geht zum Teil hervor, wie die verschiedenen Mitgliedstaat den Einfluss der Entscheidung des EuGH auf die DS-GVO bewerten und welche Änderungen die derzeitige italienische Ratspräsidentschaft an dem Gesetzesentwurf vorschlägt.
Gesetzliche Festschreibung des Vorrangs des Datenschutzes
In einem Arbeitsdokument (11289/1/14 REV 1, PDF) vom 3. September 2014, welches sich direkt mit dem Urteil des EuGH befasst, geht es vor allem um mögliche Änderungen des geplanten Art. 17 DS-GVO (dem sog. Recht auf Vergessenwerden). Die Ratspräsidentschaft schlägt in diesem Dokument neue Änderungen am Gesetzestext vor. Aus meiner Sicht völlig unverständlich ist die Idee, einen neuen Erwägungsgrund 53a) in die DS-GVO einzufügen. Inhalt dieses Erwägungsgrundes (Seite 6 des PDF) soll die Klarstellung sein, dass es, im Fall der Ausübung des „Rechts auf Vergessenwerden“, eines angemessenen Ausgleichs bedarf, zwischen den Grundrechten aus Art. 7 und 8 der Grundrechtecharta der Betroffenen und den Interesse der Internetnutzer an einem freiem Informationszugang. Soweit so gut. Jedoch möchte die Ratspräsidentschaft, unter wörtlicher Übernahme der Ausführungen des EuGH in seinem Urteil, in Erwägungsgrund 53a) festschreiben, dass „im Allgemeinen“ die Grundrechte der Betroffenen den Interessen der Internetnutzer an einem freien Informationszugang vorgehen. Im Zweifel also pro Datenschutz. Im Zweifel müssen Suchmaschinenbetreiber also Löschen.
Dass ich diese Aussage des EuGH für falsch, ja mit den Vorgaben der Grundrechtecharta nicht für vereinbar, halte, habe ich bereits in meinem Beitrag zu dem Urteil dargelegt. Allein bin ich mit dieser Ansicht auch nicht (eine Übersicht von Beiträgen gibt es bei Thomas Stadler im Blog). Sollte dieser generelle Vorrang des Datenschutzes nun auch noch gesetzlich festgeschrieben werden und eine Abwägung der Rechte und Interessen nur in Ausnahmefällen zu Gunsten der Internet- und Suchmaschinennutzer ausfallen, so würde man meines Erachtens eine gefährliche Tendenz in der Rechtsprechung, nämlich dem Datenschutz als eine Art „Supergrundrecht“ den Vorrang einzuräumen, für die Zukunft zementieren. Hier besteht sicherlich die Gefahr, dass bei einer zukünftigen Gesetzesanwendung und –auslegung Gerichte nicht nur bei der Abwägung von Datenschutz und Informationsfreiheit, sondern auch bei der Kollision anderer Grundrechte mit dem Datenschutz auf den neuen Erwägungsgrund 53a) mit dem Argument referenzieren würden „Da steht es doch. Der Datenschutz überwiegt im Allgemeinen“.
Stellungnahmen der Mitgliedstaaten
In einem weiteren Dokument (12274/2/14 REV 2, PDF) vom 3. September 2014, sind die Stellungnahmen von verschiedenen Mitgliedstaaten in der Ratsarbeitsgruppe zu den möglichen Auswirkungen des Google-Urteils und zu konkreten Fragen der Ratspräsidentschaft zusammengefasst. Die Lektüre des Arbeitspapiers und der Kommentare der einzelnen Delegationen ist durchaus lesenswert, da man hier erkennt, dass die gezogenen Schlüsse teilweise doch stark voneinander abweichen. So stellt etwa die Delegation des Vereinigten Königreichs grundsätzlich klar, dass ihrer Ansicht nach die Entscheidung des EuGH nicht den Inhalt und die Arbeit an der DS-GVO bestimmen dürfe. Das Urteil biete hilfreiche Anhaltspunkte für die gemeinsame Arbeit. Jedoch befürchtet die Delegation, dass der Richterspruch (der zur derzeit geltenden Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG ergangen ist), als eine Art Leitlinie für die Arbeit an der DS-GVO genutzt werden könnte. Dies sollte nicht der Fall sein.
Relativ einig sind sich die Mitgliedstaaten darin, dass es grundsätzlich den nationalen Gesetzgebern überlassen sein muss, die Leitlinien für erforderliche Abwägung des Rechts auf den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit vorzugeben. Dies kann nicht in der DS-GVO erfolgen. Ebenfalls weitgehend einig ist man sich darin, dass es in Zukunft nicht eine Art „Zweit-Verantwortlichen“ geben soll, wenn öffentlich zugängliche Informationen weiterverbreitet werden, etwa durch einen Suchmaschinenbetreiber. Aus älteren Ratsdokumenten geht hervor, dass über eine Art abgestufte Verantwortlichkeit nachgedacht wurde und der Betroffene sich zunächst immer an den Erst-Verantwortlichen mit seinen Löschansprüchen wenden müsse. Dieser Gedanke scheint nach den Kommentaren der Delegationen nicht weiter verfolgt werden zu sollen.
Man wird abwarten müssen, welche Folgen das Google-Urteil tatsächlich für den Entwurf der DS-GVO des Rates haben wird. Es zeigt sich, dass die Diskussionen hier im vollen Gange sind und wenig überraschend nicht immer einheitlich sind. Die Stellungnahme der deutschen Delegation ist in dem zuletzt erwähnten Dokument leider nicht enthalten.